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Was bisher geschah

Was bisher geschah

Titel: Was bisher geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loel Zwecker
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um, die noch Reformpädagogen im 20. Jahrhundert wie Maria Montessori beeinflussen werden. Pestalozzi schafft mit seiner Erziehungsanstalt für arme Kinder auf der Grundlage gemeinsamen Gärtnerns und der Entfaltung des individuellen Potentials die geistigen Grundlagen für die neue Volksschule. Moritz publiziert ein kindgerechtes ABC-Buch (1790), welches das Denken in Vergleichen und logischen Zusammenhängen fördert. Zudem gründet er das Magazin für Erfahrungsseelenkunde (1783-93): eine Sammlung von Kranken-, Kriminalund Traumberichten ohne »moralisches Geschwätz«, wie Moritz schreibt. Es ist eine der ersten psychologischen Zeitschriften.
    Was die politischen Schriften betrifft, sind die Denkerhelden in England, dem Land der Pressefreiheit, weiter als ihre schweizerischen, deutschen und französischen Kollegen. In Großbritannien werden Mitte des Jahrhunderts rund 20 000 Tageszeitungen täglich verkauft, was bei rund fünf Millionen Einwohnern und nur ein paar Hunderttausend Wahlberechtigten beträchtlich ist. Samuel Johnson (1709 bis 1784), der in England neben Shakespeare als der meist zitierte Autor gilt, prangert in seiner Zeitschrift The Idler (Der Müßiggänger) deutlicher als andere Aufklärungsdenker die Sklaverei an. Erstaunlich modern wirken Artikel wie »The Art of Advertisment«. Darin lobt er die Innovationskraft der Reklame, merkt aber an, dass es die Realität verzerren kann, wenn man neben Berichten über Kriege Anzeigen für »A Fresh Parcel of Dublin Butter« schaltet. Wenn Johnson seine Zeit als »Age of Authors« beklagt, in der jeder inzwischen ohne nachgewiesene Kompetenz publizieren dürfe, lässt das an Debatten des 21. Jahrhunderts über die Konkurrenz von Profijournalisten und Bloggern denken.
    Für den fließenden Übergang zwischen Dilettantismus und politischer Macht steht zur gleichen Zeit die berühmteste damalige Denkerheld in : Madame de Pompadour (1721 bis 1764). Als Metzgertochter Jeanne Poisson geboren, arbeitet sie sich mit Sexappeal und Bildungshunger zur Mätresse, Marquise und politischen Beraterin von Ludwig XV. hoch. In bis zu 60 Briefen am Tag kommuniziert sie mit Voltaire, aber auch Bischöfen, die sie wegen ihrer reaktionären Kirchenpolitik zusammenstaucht. Landadelige Damen schicken ihr ihre Poesiealben zur Beurteilung. Einerseits organisiert Madame de Pompadour für Ludwig XV. einen Harem minderjähriger Jungfrauen; andererseits begrüßt sie Denker der Aufklärung wie David Hume in Paris. Es mag übertrieben sein, sie als inoffizielle Kanzlerin zu bezeichnen, doch immerhin ist sie 1756 an den Bündnisverhandlungen mit Österreich beteiligt, nachdem sich Graf Kaunitz, der Minister der Monarchin Maria Theresia, in einem Brief an sie wendet. Denn Kaunitz geht es, wie er schreibt, darum, »dem König [Ludwig XV.] Vorschläge von höchster Bedeutung zu machen, die solcherart sind, dass sie nur über eine Persönlichkeit verhandelt werden können, die Seine Allerchristlichste Majestät mit ihrem ganzen Vertrauen beehrt«.
    Derart zu Einfluss gekommene Damen sehen Denkerheldinnen wie Mary Wollstonecraft natürlich kritisch. In ihrem Buch Eine Verteidigung der Rechte der Frau (A Vindication of the Rights of Women) von 1792, einem ersten Manifest der Frauenbewegung, geißelt sie die mangelhafte Erziehung junger Mädchen: »Um die Konstitution der Mädchen zart oder wie es einige nennen, schön zu halten, wird ihr Verstand vernachlässigt. Die Mädchen werden gezwungen, still zu sitzen, mit Puppen zu spielen und albernen Unterhaltungen zuzuhören.« Um wenigstens Letzteres zu verhindern, organisieren reich verheiratete Frauen wie Emilie du Châtelet, die Mathematikerin, Physikerin und Freundin Voltaires, und Suzanne Necker, die Frau des Finanzministers Jacques Necker, Salons. In ihnen tauscht man sich mit Intellektuellen wie Diderot und d’Alembert aus.
    Wenn Madame Necker selbst in ihren Réflexions sur le divorce 1794 das neue Recht auf Scheidung als »gefährlich« bezeichnet, weil man sich dann verzettle und nicht mehr »Zuflucht in einer zarten Seele« beim Partner finde, klingt das merkwürdig im Zusammenhang des Aufklärungsdenkens. Doch vor dem Hintergrund, dass damals selbst königliche Ehefrauen wie Objekte gehandelt werden und Mätressen Politik machen, kann man den ambivalenten Text als Plädoyer für die tiefe Bindung beziehungsweise die Liebesheirat lesen. Jedenfalls findet die Vorstellung von der wahren Liebe als bürgerlichem Solidaritäts- und

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