Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
philosophische und theologische Ethiker eine echte menschliche Autonomie bei allen praktischen Entscheidungen des Menschen, eine sittliche Autonomie, die auch der christliche Glaube nicht einfach aufheben kann. Gegenseitiger Respekt – das Mindeste – ist gefordert, gegenseitiger Respekt von Glaubenden und Nichtglaubenden .
»Projekt Weltethos« (1990), S. 59 – 61.
Ethik im dritten Jahrtausend
Dieser Text ist einer der Schlüsseltexte des Projekts Weltethos. Hans Küng zeigt darin erstmals programmatisch auf, warum wir uns weltweit auf kulturübergreifende ethische Standards verständigen sollen und welche Bedeutung ein solches gemeinsames Menschheitsethos, ein Weltethos, für unsere Gesellschaften hat.
An der Schwelle zum dritten Jahrtausend stellt sich also dringlicher denn je die ethische Kardinalfrage: Unter welchen Grundbedingungen können wir überleben, als Menschen auf einer bewohnbaren Erde überleben und unser individuelles und soziales Leben menschlich gestalten? Unter welchen Voraussetzungen kann die menschliche Zivilisation ins dritte Jahrtausend hinübergerettet werden? Welchem Grundprinzip sollen die Führungskräfte der Politik, der Wirtschaft, der Wissenschaft und auch der Religionen folgen? Unter welchen Voraussetzungen kann aber auch der einzelne Mensch zu einer geglückten und erfüllten Existenz kommen?
Ziel und Kriterium: der Mensch
Antwort: Der Mensch muß mehr werden, als er ist: er muß menschlicher werden ! Gut für den Menschen ist, was ihn sein Menschsein bewahren, fördern, gelingen läßt – und dies noch ganz anders als früher. Der Mensch muß sein menschliches Potential für eine möglichst humane Gesellschaft und intakte Umwelt anders ausschöpfen, als dies bisher der Fall war. Denn seine aktivierbaren Möglichkeiten an Humanität sind größer als sein Ist-Stand. Insofern gehören das realistische Prinzip Verantwortung und das »utopische« Prinzip Hoffnung (Ernst Bloch) zusammen.
Nichts also gegen die heutigen » Selbst-Tendenzen « (Selbstbestimmung, Selbsterfahrung, Selbstfindung, Selbstverwirklichung, Selbsterfüllung) – solange sie nicht abgekoppelt sind von Selbstverantwortung und Weltverantwortung , von der Verantwortung für die Mitmenschen, für die Gesellschaft und die Natur, solange sie nicht zur narzißtischen Selbstbespiegelung und autistischen Selbstbezogenheit verkommen. Selbstbehauptung und Selbstlosigkeit brauchen sich nicht auszuschließen. Identität und Solidarität sind zur Gestaltung einer besseren Welt gefordert.
Aber welche Projekte man auch plant für eine bessere Zukunft der Menschheit, das ethische Grundprinzip muß sein: Der Mensch – das ist seit Kant eine Formulierung des kategorischen Imperativs – darf nie zum bloßen Mittel gemacht werden. Er muß letzter Zweck, muß immer Ziel und Kriterium bleiben. Geld und Kapital sind Mittel, wie auch Arbeit ein Mittel ist. Wissenschaft, Technik und Industrie sind ebenfalls Mittel. Auch sie sind an sich keineswegs »wertfrei«, »neutral«, sondern sollen in jedem Einzelfall danach beurteilt und eingesetzt werden, inwieweit sie dem Menschen zu seiner Entfaltung dienen. Genmanipulation am menschlichen Keimgut etwa ist demnach nur erlaubt, insofern sie dem Schutz, der Bewahrung und Humanisierung des menschlichen Lebens dient; verbrauchende Embryo-Forschung ist ein Humanexperiment, das als inhuman strikt abzulehnen ist.
Und was die Wirtschaft betrifft: »Gewinn ist nicht ein Ziel, sondern ein Resultat«, hörte ich einmal vom amerikanischen Management-Guru Professor Peter Drucker, der vor kurzem die Ablösung der »Business Society« durch die »Knowledge Society« ankündigte, in welcher Erziehung und Bildung eine Schlüsselstellung haben würden. Doch wir wissen es schon jetzt: Auch Computer und Maschinen, Kybernetik und Management, Organisation und System sind für den Menschen da und nicht umgekehrt. Oder anders gesagt: Der Mensch soll immer Subjekt bleiben und nie Objekt werden. Wie für die große Politik, so gilt dies (und gerade Wirtschaftspsychologen und Betriebswissenschaftler sagen uns das) auch für den Alltag der Betriebsführung: »Der ›menschliche Faktor‹ ist das zentrale treibende oder hemmende Element im betrieblichen wie globalen Geschehen« (Roland Müller). Oder wie es Knut Bleicher in einer kulturvergleichenden Managementanalyse (USA–Europa–Japan) ausdrückt: »Es sind nicht Maschinen, die Inventionen und Innovationen hervorbringen, sondern Menschen, die
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