Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
ihm wiese?« (Is 40,131)
Gewiß, wir brauchen keineswegs die Argumente der Leibnizschen Theodizee als Unsinn abzutun; sie haben, richtig verstanden, ihre Wahrheit. Aber sie kommen in ihrer abstrakten Allgemeinheit und in ihrer optimistischen Logik nicht an gegen das dunkle Paradox des konkreten persönlichen Leides. Sie können die Empörung des Iwan Karamasoff nicht verhindern. Sie können vielmehr sogar zur Empörung aufreizen.
»Fürwahr, du bist ein verborgener Gott,
der Gott Israels, ein Erretter!« (Is 45,15)
Worauf kommt es also nach der Hiobsgeschichte an? Daß wir unsere Unfähigkeit, hinter das Rätsel des Leids und des Bösen zu kommen, nüchtern und ruhig eingestehen. Daß wir uns nicht als außenstehende Unbeteiligte und unbefugte Zensoren vorkommen, die sich in Unschuld ein Urteil über Gott und die Welt anmaßen dürften. Daß wir so auf alle Fälle ablehnen, Gott ein auch nur verborgenes, auch nur leises, auch nur unausgesprochenes Mißtrauen entgegenzubringen. Oder besser positiv ausgedrückt: Daß wir Gott von vorneherein ein letztes, ein bedingungsloses und restloses Vertrauen entgegenbringen. Daß wir in allem Leid, in aller inneren Not und allem äußeren Schmerz, in aller Angst und Sorge, Schwäche und Müdigkeit, Leere und Trostlosigkeit, Anfechtung und Versuchung, in allem Zweifel und in allem Zorn einfach und schlicht zu ihm gehen: nicht um vor ihm aufzubegehren, um mit ihm zu rechten, ihm unsere eigene Gerechtigkeit und Wichtigkeit vorzuführen, sondern um vor ihm – gerade das wird uns befreien und trösten – mit vollkommen leeren Händen dazustehen und von ihm alles zu erwarten: Hier stehe ich. Ich kann dir nichts bieten, nicht eigene Weisheit und nicht eigene Rechtschaffenheit. Ich bin ganz und gar dein Schuldner, dein Geschöpf, dein unnützer Diener. Laß mich, ich bitte dich, meine ganze Sorge, die ich nicht bewältigen kann, mein ganzes Elend, mein ganzes Leid, das ich nicht mehr tragen kann, auf dich werfen. Laß mich bei dir Hoffnung, Kraft, Freude finden.
»Denn so sprach Gott, der Herr, der Heilige Israels:
In Umkehr und Ruhe liegt euer Heil;
in Stillhalten und Vertrauen besteht eure Stärke.« (Is 30,15)
Vielleicht sind wir in übergroßem Leid zu keinem Worte fähig, können nur stumm dastehen, uns nur leer und ausgebrannt hinhalten. Aber gerade dieses leere und wortlose Sich-Hinhalten wird dann der Ausdruck unseres abgrundtiefen Vertrauens sein, das von sich nichts, von Gott alles erwartet. Das von vorneherein zu allem, was Er tut, überzeugt »Amen« sagt: so sei es! und es ist gut so! Amen-Sagen ist die Übersetzung für das alttestamentliche Hauptwort »glauben«. Was ist die »Lösung« des Leidensproblems ? Das ungesicherte und doch befreiende Wagnis des Glaubens! Im vertrauenden Glauben läßt sich das Leid nicht »erklären«, wohl aber – und darauf kommt es an – bestehen ! Der vertrauende Glaube an den unbegreiflichen, immer größeren Gott ist der Sieg, der das Leid überwindet, der das Böse überwindet, der die Empörung des Unglaubens von vorneherein überwunden hat. Der Glaube ist es, der sich freiwillig gefangen gibt, um so frei zu sein in der Gewißheit, von Gott selbst gerufen und gehalten zu sein. Der Glaube ist es, der im Bekenntnis zur eigenen Ohnmacht und zum Verzicht auf jegliche Selbsthilfe aus eigener Klugheit und Anstrengung die Kraft findet zum wagemutigen Risiko gegen alle bedrohende Wirklichkeit und gegen alle entgegenstehenden Vernunftsgründe zur vollen vertrauensvollen Hingabe an Gott, den Herrn. Der Glaube ist es, der das Gehen über das Meer des Leids ermöglicht, der vertrauensvoll einschlägt in die Hand, die sich über dem Abgrund des Leides und des Bösen dem Menschen entgegenstreckt. Soll uns dies nicht genug sein?
»Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht!« (Is 7,9b)
Im Menschen Hiob erkennen wir uns selbst. Sein Leiden gibt unserem Leiden Kraft und Sinn und Trost. Sein Glaube ruft unseren Glauben, sein Vertrauen unser Vertrauen. Und doch ist von uns nicht erwartet, daß wir Hiobs Weg einfach nachvollziehen, daß wir etwa das Leid im Hiobschen Ausmaß suchen, um so, in die äußerste Anfechtung gestellt, durch eigenes Leid zum Heil zu gelangen. Hinter dem leidenden Gottesknecht Hiob, der sein eigenes Leid getragen hat, erscheint die Gestalt jenes anderen leidenden Gottesknechtes, der das Leid der Welt getragen und Leid, Sünde, Tod definitiv überwunden hat. In ihm geht in Erfüllung, was im Alten Testament angekündigt
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