Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
seiner Macht und Herrlichkeit, die keine Grenzen kennt ? Die auch das umfaßt, was der Mensch nicht versteht, ja, was ihm unmöglich und absurd vorkommt? Dieses Geheimnis der Allmacht und Unbegreiflichkeit kann der Mensch nicht enträtseln. Aber dieses Geheimnis umfaßt auch das Elend seines Leidens. Das erkennt Hiob jetzt und ist erschüttert. Wie groß war doch sein Unverstand, wie groß seine Torheit ! Aus der äußersten Verzweiflung wirft er sich in das unbedingte Vertrauen. Er hält das Bekenntnis seiner Schuld nicht mehr zurück, er bekennt und widerruft:
»Ich habe erkannt, daß du alles vermagst;
nichts, was du sinnst, ist dir verwehrt.
Wer ist’s, der da verhüllt ohne Einsicht den Ratschluß?
Darum habe ich geredet in Unverstand,
Dinge, die zu wunderbar für mich, die ich nicht begriff.
Höre doch, und ich will reden;
ich will dich fragen, und du lehre mich!
Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört;
nun aber hat dich mein Auge gesehen.
Darum widerrufe ich und bereue in Staub und Asche.«
(42,2 – 6)
In der Begegnung mit dem lebendigen Gott – »Nun aber hat mein Auge dich gesehen!« – wird der Schleier des Geheimnisses, der über dem Leiden liegt, nicht weggenommen. Aber es eröffnet sich dem leidenden Menschen das wahre Wesen Gottes, der in seiner Güte auch das Leid umfangen hält. Der dem Menschen nicht heimlich feind ist, sondern der sich im Gegenteil zu ihm herabneigt: ihm gnädig ist. Die Begegnung mit dem lebendigen Gott ist es, die alle menschliche Kritik und Vernünftelei verstummen läßt.
So spricht denn Gott das Urteil über Hiob und seine Freunde: Hiob – anders als seine Freunde, gegen die Gottes Zorn entbrennt, nicht ohne ihnen zugleich gnädige Versöhnung anzubieten – hat« recht von mir geredet« (42,71). So steht er vor den Freunden als der Gerechtfertigte da. Er ist »mein Knecht Hiob« (42,71). Der erneute Segen über Hiob, der nach einem neuen glücklichen Leben mit sieben Söhnen und drei schönen Töchtern (»Täubchen«, »Wohlgeruch« und »Schminkbüchschen«) in Reichtum »alt und lebenssatt« sterben darf, ist das unübersehbare Siegel auf Gottes gnädiges Urteil.
Wie hat sich die Situation geändert! Gott, der dem leidenden Menschen als ungerechter Herr, ja, als Feind erschienen war, hat sich als der wahre, gerechte, gütige, gnädige Freund, der ihn umsorgt, gezeigt. Das Meer des Leidens, das allen Zugang zu Gott zu versperren schien, hat sich als Weg des Menschen zu Gott oder besser als Weg Gottes zum Menschen erwiesen. Eine Theodizee des Menschen, der Gott gegenüber dem Leid und Bösen der Welt zu rechtfertigen trachtet, hat sich als ungangbar gezeigt: sowohl die Theodizee Hiobs, der mit seiner Selbstrechtfertigung indirekt auch eine Rechtfertigung Gottes versuchte, wie die Theodizee seiner Freunde, die die Rechtfertigung Gottes direkt mit ihren logischen Argumenten durchzuführen gedachten, ist gescheitert. Die Theodizee des selbstbewußten und selbstmächtigen Menschen mußte weichen.
In der Hiobsgeschichte wird uns also etwas anderes gegeben als Argumente der Theodizee für die Vernünftigkeit und Einsichtigkeit der Weltordnung, als ein durchsichtiges Schema der Welterklärung, das jedem einleuchtend gemacht werden könnte. Gewiß, die naive Unmittelbarkeit des Naturverständnisses, das uns besonders in den letzten Kapiteln des Hiobbuches entgegentritt, ist uns heute nicht mehr möglich. Wir leben in einem hochtechnisierten Zeitalter, das uns in den unendlichen Räumen des Makrokosmos und des Mikrokosmos viel eher Gottesferne als Gottesnähe erfahren läßt. Aber die bleibende Botschaft des Hiobbuches liegt nicht hier.
Worauf kommt es denn nach der Hiobsgeschichte an? Daß wir das Rätsel des Leides und des Bösen nicht gewaltsam mit den Schlüsseln der Vernunft aufzubrechen versuchen; weder psychologisierend noch philosophierend noch moralisierend läßt sich das Dunkel des Leides und des Bösen in Licht verwandeln. Es kommt darauf an, daß wir nicht hinter das Geheimnis des Ratschlusses und Weltplanes Gottes zu kommen versuchen; auch die Alleserklärer, die fein säuberlich beweisen, daß alles gerade so sein muß und es so am besten ist, lassen uns in der persönlichen Not der Sünde und des Leides im Stich. So heißt es auch bei Isaias:
»Wer hat den Geist des Herrn gelenkt,
und wer ist sein Ratgeber, der ihn unterwiese ?
Mit wem hat er sich beraten,
daß der ihn belehrte und ihm den Pfad des Rechten
zeigte, den Weg der Einsicht
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