Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Titel: Was bleibt: Kerngedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
Vom Netzwerk:
verzichten will, vielleicht auf etwas Meta-physisches oder Proto-physisches einlassen?
    Nun ließe sich natürlich »ad hominem« argumentieren: Ist das wirklich eine zu große Zumutung an die menschliche Vernunft? Man kann es doch auch umgekehrt sehen: Wieviel »Glauben« mutet der menschlichen Vernunft das kosmologische Standardmodell zu! Nach dem Urknall sollen aus einer winzigen Einheit die Milliarden Galaxien entstanden sein? Wenn das nicht eine Art »wissenschaftlicher Wunderglaube« ist? Das jedenfalls meint der amerikanische Wissenschaftsjournalist Gregg Easterbrook : Was »deren schiere Unglaublichkeit« angehe, würde »nichts an Theologie oder Metaphysik dem Big Bang das Wasser reichen. Käme diese Schilderung der kosmischen Genese aus der Bibel oder aus dem Koran statt aus dem Massachusetts Institute of Technology, würde sie ganz sicher als ein überspannter Mythos behandelt.«
    Und doch halte selbstverständlich auch ich als informierter Theologe das physikalische Standardmodell für wohlbegründet und hoffe zugleich, daß auch der informierte Naturwissenschaftler den » Anfang « aller Dinge nicht als beliebigen Beginn versteht: »Big Bang« ist kein bloßer »Beginning«! Geht es doch nicht nur um einen einzelnen ersten Moment (die erste »100stel Sekunde«) innerhalb einer Abfolge vieler vergleichbarer Momente einer beginnenden Welt-Geschichte. Nein, es geht um die Ermöglichung einer Welt-Geschichte überhaupt: nicht nur um den zeitlichen Anfang, sondern um den Anfang der Zeit! Das heißt, kein relativer, sondern der absolut erste Anfang , der kein Anfang innerhalb der Welt-Zeit oder Zeit-Welt sein kann, ja, ohne den die Welt-Zeit oder Zeit-Welt gar nicht erklärt werden kann.
    Ein Zeit und Raum übersteigender Anfang der Welt läßt sich auch mit dem Wort » Ursprung « (lat. »origo«, engl. »origin«) ausdrücken. Dieses Wort Ur-sprung bedeutet im Deutschen zunächst die aus dem Boden »er-springende« (später »ent-springende«) Quelle, dann aber, erweitert, jede Art von Ausgangspunkt, auch geistig verstanden. Freilich darf »Ur-sprung« nicht von vornherein mit »Urheber«, mit Gott im christlichen Sinn, identifiziert werden. Theologen unterlaufen hier leicht Kurzschlüsse. Neuzeitliches philosophisches Denken kann ohnehin nicht mehr wie das mittelalterliche oder reformatorische einfach mit Gott anfangen, sondern muß »von unten« beginnen: Der Anfang der Erkenntnis liegt für das moderne Denken in der Erfahrung des Menschen.
    »Kopernikanische Wende« in der Philosophie: Descartes
    Die Kopernikanische Wende in der Astronomie wurde schon früh fortgeführt durch eine »Kopernikanische Wende«in der Philosophie. Grundgelegt wurde sie durch Galileis Zeitgenossen René Descartes (1596   –   1650), genialer Erfinder der analytischen Geometrie und Initiator der modernen Philosophie. In einem neuen Zeitalter des Rechnens und Experimentierens, der Methode und der exakten Wissenschaften proklamiert er das Ideal der mathematischen Gewißheit. Nicht mehr mittelalterlich von der Gottesgewißheit zur Selbstgewißheit, sondern neuzeitlich von der Selbstgewißheit zur Gottesgewißheit. Theozentrik abgelöst durch Anthropozentrik: methodischer Ausgang vom Menschen, vom Subjekt, seiner Vernunft und Freiheit . Auf diese Weise läßt sich eine Autonomie der Wissenschaften philosophisch begründen. Ja, dies ist wirklich ein Paradigmenwechsel, der vollendet wird durch die Fundamentalkritik Immanuel Kants , dessen Kritik der »reinen« oder theoretischen Vernunft in einer radikalen Kritik der Gottesbeweise gipfelt.
    Gottesbeweise – zum Scheitern verurteilt: Kant
    Hinter der Kritik Immanuel Kants (1724   –   1804) an den Beweisen für die Existenz Gottes steckt nicht, wie oft vermutet, Resignation über die Rolle der Vernunft. Sie gründet vielmehr in der letztlich ethisch-religiös fundierten Überzeugung, daß der Vernunft Grenzen gesetzt werden müssen und daß die Grenzen der Vernunft nicht identisch sind mit den Grenzen der Wirklichkeit. Das heißt: Was die Vernunft nicht erkennt, kann dennoch wirklich sein! Auch Gott? Kant schreibt im Vorwort zur zweiten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft«, die er 1781 als bereits 57jähriger veröffentlicht: »Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.« Denn Glaube ist auch für den »kritischen« Kant wie für den von ihm hochgeschätzten Rousseau eine Wahrheit des Herzens, besser: des Gewissens, jenseits aller philosophischen

Weitere Kostenlose Bücher