Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
menschlicher Freiheit, von göttlichem und menschlichem Willen kein echtes Problem ist … Sondern genau das, was dieser »Freund von Zöllnern und Sündern«, der das Verlorene und Verkommene meint suchen und retten zu müssen, auch in anderen Parabeln zum Ausdruck brachte: wenn er sprach von Gott – wie wir schon sahen – als der Frau (!) oder dem Hirten, die sich über das wiedergefundene Verlorene freuen, als dem großmütigen König, dem großzügigen Geldverleiher, dem gnädigen Richter, und wenn er sich daraufhin auch selber mit moralischen Versagern, Unfrommen und Unmoralischen einließ, sie bevorzugt behandelte und ihnen sogar auf der Stelle Vergebung ihrer Schuld zusprach. Was bedeutet dies alles, wenn nicht: Jesus stellt Gott ganz ausdrücklich als Vater des »verlorenen Sohnes«, als den Vater der Verlorenen hin?
Dies also ist für Jesus der eine wahre Gott, neben dem es keine anderen auch noch so frommen Götter geben darf: der Gott des Bundes – besser verstanden! Ein Gott, der offensichtlich mehr ist als der oberste Garant eines fraglos zu akzeptierenden, wenn auch vielleicht geschickt zu manipulierenden Gesetzes. Ein Gott, der mehr ist auch als jenes von oben alles diktierende und zentral lenkende, allmächtig-allwissende Wesen, das seine Planziele unerbittlich, und sei es mit »heiligen Kriegen« im Großen und Kleinen und ewiger Verdammung der Gegner, zu erreichen trachtet. Dieser Vater-Gott will kein Gott sein, wie ihn Marx, Nietzsche und Freud fürchteten, der dem Menschen von Kind auf Ängste und Schuldgefühle einjagt, ihn moralisierend ständig verfolgt, und der so tatsächlich nur die Projektion anerzogener Ängste, menschlicher Herrschaft, Machtgier, Rechthaberei und Rachsucht ist. Dieser Vater-Gott will kein theokratischer Gott sein, der auch nur indirekt den Repräsentanten totalitärer Systeme zur Rechtfertigung dienen könnte, die, ob fromm-kirchlich oder unfromm-atheistisch, seinen Platz einzunehmen und seine Hoheitsrechte auszuüben versuchen: als fromme oder unfromme Götter der orthodoxen Lehre und unbedingten Disziplin, des Gesetzes und der Ordnung, der menschenverachtenden Diktatur und Planung …
Nein, dieser Vater-Gott will ein Gott sein, der den Menschen als ein Gott der rettenden Liebe begegnet. Nicht der allzumännliche Willkür- oder Gesetzesgott. Nicht der Gott, geschaffen nach dem Bilde der Könige und Tyrannen, der Hierarchen und Schulmeister. Sondern der – wie schade um das so verniedlichte große Wort – liebe Gott , der sich mit den Menschen, ihren Nöten und Hoffnungen solidarisiert. Der nicht fordert, sondern gibt, der nicht niederdrückt, sondern aufrichtet, nicht krank macht, sondern heilt. Der diejenigen schont, die sein heiliges Gesetz und damit ihn selbst antasten. Der, statt zu verurteilen, vergibt, der, statt zu bestrafen, befreit, der statt Recht vorbehaltlos Gnade walten läßt. Der Gott also, der sich nicht den Gerechten, sondern den Ungerechten zuwendet. Der die Sünder vorzieht: der den verlorenen Sohn lieber hat als den daheimgebliebenen, den Zöllner lieber als den Pharisäer, die Ketzer lieber als die Orthodoxen, die Dirnen und Ehebrecher lieber als ihre Richter, die Gesetzesbrecher oder Gesetzlosen lieber als die Gesetzeswächter!
Kann man hier noch sagen, der Vatername sei nur Echo auf innerweltliche Vatererfahrungen? Eine Projektion, die dazu dient, irdische Vater- und Herrschaftsverhältnisse zu verklären? Nein, dieser Vater-Gott ist anders! Nicht ein Gott des Jenseits auf Kosten des Diesseits, auf Kosten des Menschen (Feuerbach). Nicht ein Gott der Herrschenden, der Vertröstung und des deformierten Bewußtseins (Marx). Nicht ein Gott, von Ressentiments erzeugt, das Oberhaupt einer erbärmlichen Eckensteher-Moral von Gut und Böse (Nietzsche). Nicht ein tyrannisches Über-Ich, das Wunschbild illusionärer frühkindlicher Bedürfnisse, ein Gott des Zwangsrituals aus einem Schuld- und Vaterkomplex (Freud).
An einen ganz anderen Gott und Vater appelliert Jesus zur Rechtfertigung seines skandalösen Redens und Benehmens: ein wunderlicher, ja gefährlicher, ein im Grunde unmöglicher Gott. Oder sollte man das wirklich annehmen können? Daß Gott selbst die Gesetzesübertretungen rechtfertigt? Daß Gott selbst sich rücksichtslos über die Gerechtigkeit des Gesetzes hinwegsetzt und eine »bessere Gerechtigkeit« proklamieren läßt? Daß er selbst also die bestehende gesetzliche Ordnung und damit das gesamte gesellschaftliche System, ja auch
Weitere Kostenlose Bücher