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Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Titel: Was bleibt: Kerngedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Judentums bis hinauf ins Mittelalter keinen einzigen Beleg für die Gottesanrede »Abba«. Wie soll man das erklären? Bisher fand man nur die eine Erklärung: »Abba« – ganz ähnlich dem deutschen »Papa« – ist seinem Ursprung nach ein Lallwort des Kindes, zur Zeit Jesu freilich auch gebraucht zur Vater-Anrede erwachsener Söhne und Töchter und als Höflichkeitsausdruck gegenüber älteren Respektspersonen. Aber diesen so gar nicht männlichen Ausdruck der Kindersprache, der Zärtlichkeit, diesen Alltags- und Höflichkeitsausdruck zur Anrede Gottes zu gebrauchen, mußte den Zeitgenossen so unehrerbietig und so ärgerlich familiär vorkommen, wie wenn wir Gott mit »Papa« oder »Väterchen« ansprächen.
    Für Jesus aber ist dieser Ausdruck so wenig respektlos, wie es die vertraute Anrede des Kindes an seinen Vater ist. Vertrautheit schließt ja Respekt nicht aus. Ehrfurcht bleibt die Grundlage seines Gottverständnisses. Aber nicht sein Zentrum: Genau wie ein Kind seinen irdischen Vater, so soll nach Jesus der Mensch seinen himmlischen Vater ansprechen – ehrerbietig und gehorsamsbereit, doch vor allem geborgen und vertrauensvoll. Mit diesem Vertrauen, welches Ehrfurcht einschließt, lehrt Jesus auch seine Jünger Gott anreden. »Unser Vater – in den Himmeln.« Gott mit »Vater« anzureden ist der gewagteste und einfachste Ausdruck jenes unbedingten Vertrauens, das dem lieben Gott Gutes, alles Gute zutraut, das auf ihn vertraut und sich ihm anvertraut.
    Das Vaterunser : Ohne Buchstabenfrömmigkeit und allen Formularzwang in zwei Fassungen – einer kürzeren (Mattäus) und einer längeren (Lukas) – überliefert, ist es ein Bittgebet ganz aus der Gewöhnlichkeit des unsakralen Alltags heraus gesprochen. Ohne mystische Versenkung und Läuterung, allerdings auch ohne allen Anspruch auf Verdienst: nur unter der Bedingung der eigenen Bereitschaft zum Vergeben. Zu den einzelnen Bitten sind leicht Parallelen in jüdischen Gebeten, etwa im Achtzehn-Bitten-Gebet, zu finden. Im Ganzen aber ist das Vaterunser durchaus unverwechselbar in seiner Kürze, Präzision und Schlichtheit. Ein neues unsakrales Beten, nicht in der hebräischen Sakralsprache, sondern in der aramäischen Muttersprache, ohne die üblichen pompösen rituellen Anreden und Huldigungen Gottes. Ein sehr persönliches Beten, das doch die Beter durch die Anrede »Unser Vater« intensiv zusammenschließt. Ein sehr einfaches Bittgebet, aber ganz konzentriert auf das Wesentliche: auf die Sache Gottes (daß sein Name geheiligt werde, sein Reich komme und sein Wille geschehe), die unlöslich verbunden erscheint mit der Sache des Menschen (seine leibliche Sorge, seine Schuld, die Versuchung und Gewalt des Bösen).
    Alles eine vorbildliche Realisierung dessen, was Jesus zuvor gegenüber dem wortreichen Beten gesagt hat: nicht durch Plappern vieler Worte Erhörung finden zu wollen, als ob der Vater nicht schon unsere Bedürfnisse wüßte. Dies ist eine Aufforderung, nicht etwa das Bittgebet zu unterlassen und sich auf Lob und Preis zu beschränken, wie die Stoiker aus Gottes Allwissenheit und Allmacht folgerten. Eine Aufforderung vielmehr, im Bewußtsein von Gottes Nähe in unbeirrbarem Vertrauen ganz menschlich unermüdlich zu drängen wie der unverschämte Freund in der Nacht, wie die unerschrockene Witwe vor dem Richter. Nirgendwo taucht die Frage der unerhörten Gebete auf; die Erhörung ist zugesichert. Die Erfahrung des Nichterhörtwerdens soll nicht zum Schweigen, sondern zu erneutem Bitten führen. Immer jedoch unter der Voraussetzung, daß sein und nicht unser Wille geschehe: hierin liegt das Geheimnis der Gebetserhörung.
    Jesus hat das Gebet fern von den Augen der Öffentlichkeit empfohlen, sogar in der Abgeschiedenheit der profanen Vorratskammer. Jesus selber hat so gebetet: Sosehr die meisten Stellen in den synoptischen Evangelien redaktionelle Eintragungen des Lukas in das Markusevangelium sind, so berichtet doch schon das Markusevangelium vom stundenlangen Beten Jesu außerhalb der liturgischen Gebetszeiten in der Einsamkeit. Jesus selber hat gedankt. Sosehr die johanneisch klingende Fortsetzung von gegenseitigem Erkennen des Vaters und des Sohnes in ihrer Authentizität umstritten ist, sowenig das unmittelbar vorausgehende Dankgebet, welches allen Mißerfolgen zum Trotz den Vater preist, daß er »solches« vor Weisen und Klugen verborgen und es Unmündigen, Ungebildeten, Geringen, Anspruchslosen geoffenbart hat.
    Sein Vater und unser

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