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Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Titel: Was bleibt: Kerngedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Vater
    Doch hier machen wir nun eine neue überraschende Feststellung. Zahlreich sind die Stellen, wo Jesus »mein Vater (im Himmel)« und dann auch »dein Vater« oder »euer Vater« sagt. Aber in allen Evangelien gibt es keine einzige Stelle, wo sich Jesus mit seinen Jüngern zu einem »unser Vater« zusammenschließt. Ist diese grundsätzliche Unterscheidung von »mein« und »euer« Vater christologischer Stil der Gemeinde? Man kann zumindest ebensogut der Meinung sein, daß dieser sehr bestimmte Sprachgebrauch deshalb im ganzen Neuen Testament so beständig ist, weil er, wie es die Evangelien deutlich machen, schon für Jesus selbst charakteristisch war: als Ausdruck nämlich seiner Sendung.
    Eine Überinterpretation der Gottesanrede »Abba« ist aufgrund des alltäglichen Klangs des Wortes zu vermeiden. Jesus selber hat sich wohl nie einfach als »der Sohn« bezeichnet. Ja, er hat eine direkte Identifikation mit Gott, eine Vergötterung, in aller Ausdrücklichkeit abgelehnt: »Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.« Aber andererseits sagte er nie wie die alttestamentlichen Propheten: »So spricht der Herr« oder »Spruch Jahwes«. Er spricht vielmehr – was ohne Parallele in der jüdischen Umwelt ist und zu Recht auf den vorösterlichen Jesus zurückgeführt wird – mit einem emphatischen »Ich« oder gar »Ich aber sage euch«. Kann man sich aufgrund der Quellen der Einsicht verschließen, daß dieser Künder des Vatergottes aus einer ungewöhnlichen Verbundenheit mit ihm heraus gelebt und gewirkt hat? Daß eine besondere Gotteserfahrung seine Botschaft vom Reich und Willen Gottes getragen hat? Daß sein ungeheurer Anspruch, seine souveräne Sicherheit und selbstverständliche Direktheit ohne eine sehr eigenartige Unmittelbarkeit zu Gott , seinem Vater und unserem Vater, nicht denkbar ist?
    Offensichtlich ist Jesus öffentlicher Sach-Walter Gottes nicht nur in einem äußerlich-juristischen Sinn: nicht nur ein Beauftragter, Bevollmächtigter, Anwalt Gottes. Sondern Sach-Walter in einem zutiefst innerlich-existentiellen Sinn: ein persönlicher Botschafter, Treuhänder, Vertrauter, Freund Gottes. In ihm wurde der Mensch ohne allen Zwang, aber unausweichlich und unmittelbar mit jener letzten Wirklichkeit konfrontiert, die ihn zur Entscheidung über das letzte Wonach und Wohin herausfordert. Von dieser letzten Wirklichkeit scheint er angetrieben zu sein in all seinem Leben und Handeln: gegenüber dem religiös-politischen System und seiner Oberschicht, gegenüber Gesetz, Kult und Hierarchie, gegenüber Institution und Tradition, Familienbanden und Parteibindungen. Aber auch gegenüber den Opfern dieses Systems, den leidenden, beiseite geschobenen, getretenen, schuldig gewordenen und gescheiterten Menschen aller Art, für die er erbarmend Partei ergreift. Von dieser letzten Wirklichkeit scheint sein Leben durchleuchtet zu sein: wenn er Gott als den Vater verkündet, wenn er die religiösen Ängste und Vorurteile seiner Zeit nicht teilt, wenn er sich mit dem religiös unwissenden Volk solidarisiert. Auch wenn er die Kranken nicht als Sünder behandelt und Gott den Vater nicht als Feind des Lebens verdächtigt sehen will, wenn er die Besessenen von den psychischen Zwängen befreit und den Teufelskreis von seelischer Störung, Dämonenglauben und gesellschaftlicher Ächtung durchbricht. Aus dieser Wirklichkeit scheint er ganz und gar zu leben: wenn er die Herrschaft dieses Gottes verkündet und die menschlichen Herrschaftsverhältnisse nicht einfach hinnimmt, wenn er die Frauen in der Ehe nicht der Willkür der Männer ausgeliefert haben will, wenn er die Kinder gegen die Erwachsenen, die Armen gegen die Reichen, überhaupt die Kleinen gegen die Großen in Schutz nimmt. Auch wenn er sich sogar für die religiös Andersgläubigen, die politisch Kompromittierten, die moralischen Versager, die sexuell Ausgenützten, die an den Rand der Gesellschaft Gedrängten einsetzt und ihnen Vergebung zusagt. Wenn er sich so für alle Gruppen offenhält und nicht einfach gelten läßt, was die Vertreter der offiziellen Religion und ihre Experten für unfehlbar wahr oder falsch, gut oder böse erklären.
    In dieser letzten Wirklichkeit also, die er Gott, seinen Vater und unseren Vater nennt, wurzelt seine Grundhaltung, die sich mit einem Wort umschreiben läßt: seine Freiheit , die ansteckend wirkt und für den Einzelmenschen wie die Gesellschaft in ihrer Eindimensionalität eine wirklich andere Dimension

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