Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
trans-humane, trans-sexuelle letzte Wirklichkeit. Der eine Gott darf heute weniger denn je nur durch den Raster des Männlich-Väterlichen gesehen werden, wie dies eine allzu männliche Theologie tat. Es muß an ihm auch das weiblich-mütterliche Moment erkannt werden. Eine so verstandene Vater-Anrede kann dann nicht mehr zur religiösen Begründung eines gesellschaftlichen Paternalismus auf Kosten der Frau und insbesondere zur permanenten Unterdrückung des Weiblichen in der Kirche und deren Ämtern benützt werden.
Anders als in anderen Religionen erscheint Gott in der Hebräischen Bibel jedoch nicht als der physische Vater von Göttern, Halbgöttern oder Heroen. Allerdings auch nie einfach als der Vater aller Menschen. Jahwe ist der Vater des Volkes Israel, welches Gottes erstgeborener Sohn genannt wird. Er ist dann insbesondere der Vater des Königs, der in ausgezeichnetem Sinn als Gottes Sohn gilt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt« – ein »Beschluß Jahwes« bei der Thronbesteigung, der nicht eine mirakulöse irdische Zeugung, sondern die Einsetzung des Königs in die Sohnesrechte meint. Im späteren Judentum wird Gott dann auch als Vater des einzelnen Frommen und des erwählten Volkes der Endzeit verheißen: »Sie werden nach meinen Geboten tun, und ich werde ihr Vater sein, und sie werden meine Kinder sein.« Hier überall zeigt sich das Vatersymbol jenseits aller sexuellen Bezüge und eines religiösen Paternalismus in seinen unverzichtbaren positiven Aspekten: als Ausdruck der Macht und zugleich der Nähe, des Schutzes und der Fürsorge.
Doch hierbei künden sich bei Jesus bedeutsame Unterschiede an. Manche überlieferten Worte Jesu könnten für sich allein genommen auch aus der Weisheitsliteratur stammen, wo sich Parallelen finden. Daß sie von Jesus selber stammen, ist wie so oft schwer aufweisbar. Aber sie erhalten ihre besondere Färbung vom gesamten Kontext, mögen sie nun immer direkt von ihm selbst stammen oder nicht. Es fällt zunächst auf, daß Jesus die Vaterschaft Gottes nie auf das Volk als solches bezieht. Wie für den Täufer Johannes, so stellt auch für ihn die Zugehörigkeit zum auserwählten Volk keine Heilsgarantie dar. Noch auffälliger ist, daß Jesus ganz anders als selbst Johannes die Vaterschaft auch auf die Bösen und Ungerechten bezieht und daß er von dieser vollkommenen Vaterschaft Gottes her die für ihn so spezifische Feindesliebe begründet. Was geht hier vor?
Vater der Verlorenen
Hier überall wird mit dem Hinweis auf den »Vater« gewiß zunächst auf Gottes tätige Vorsehung und Fürsorge in allen Dingen hingewiesen: die sich um jeden Sperling und um jedes Haar kümmert; die um unsere Bedürfnisse weiß, bevor wir ihn bitten; was unsere Sorgen als überflüssig erscheinen läßt. Der Vater, der um alles in dieser so gar nicht heilen Welt weiß und ohne den nichts geschieht: die faktische Antwort auf die Theodizeefrage nach den Lebensrätseln, dem Leid, der Ungerechtigkeit, dem Tod in der Welt! Ein Gott, dem man unbedingt vertrauen und auf den man sich auch in Leid, Ungerechtigkeit, Schuld und Tod ganz verlassen kann. Ein Gott nicht mehr in unheimlicher, transzendenter Ferne, sondern nahe in unbegreiflicher Güte. Ein Gott, der nicht auf ein Jenseits vertröstet und die gegenwärtige Dunkelheit, Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit verharmlost, sondern der selbst in Dunkelheit, Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit zum Wagnis der Hoffnung einlädt.
Aber es geht noch um mehr. Hier kommt das zum Durchbruch, was so unvergleichlich nachdrücklich vor Augen gemalt wird in jener Parabel, die eigentlich nicht den Sohn oder die Söhne, sondern den Vater zur Hauptfigur hat: jener Vater, der den Sohn in Freiheit ziehen läßt, der ihm weder nachjagt noch nachläuft, der aber den aus dem Elend Zurückkehrenden sieht, bevor dieser ihn sieht, ihm entgegenläuft, sein Schuldbekenntnis unterbricht, ihn ohne alle Abrechnung, Probezeit, Vorbedingungen aufnimmt und ein großes Fest feiern läßst – zum Ärgernis des korrekt Daheimgebliebenen.
Was also wird hier mit »Vater« zum Ausdruck gebracht? Offensichtlich nicht nur, daß es ein Mißverständnis Gottes ist, wenn der Mensch meint, ihm gegenüber seine Freiheit wahren zu müssen. Nicht nur, daß Gottes Walten und des Menschen Aktivität, Theonomie und Autonomie sich nicht ausschließen. Nicht nur, daß das von Theologen vieltraktierte Problem des »Zusammenwirkens« (»concursus«) von göttlicher Vorherbestimmung und
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