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Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Titel: Was bleibt: Kerngedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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den Tempel und den ganzen Gottesdienst in Frage stellen läßt? Daß er selber den Menschen zum Maßstab seiner Gebote macht, selber die natürlichen Grenzen zwischen Genossen und Nichtgenossen, Fernsten und Nächsten, Freunden und Feinden, Guten und Bösen durch Vergeben, Dienen, Verzichten, durch die Liebe aufhebt und sich so auf die Seite der Schwachen, Kranken, Armen, Unterprivilegierten, Unterdrückten, ja der Unfrommen, Unmoralischen, Gottlosen stellt? Das wäre doch ein neuer Gott: ein Gott, der sich von seinem eigenen Gesetz gelöst hat, ein Gott nicht der Gesetzesfrommen, sondern der Gesetzesbrecher, ja – so zugespitzt muß es gesagt sein, um die Widersprüchlichkeit und Anstößigkeit deutlich zu machen – ein Gott nicht der Gottesfürchtigen, sondern ein Gott der Gottlosen !? Eine wahrhaft unerhörte Revolution im Gottesverständnis !?
    Ein »Aufstand gegen Gott« gewiß nicht im Sinn des älteren oder neueren Atheismus, Amoralismus, Anomismus, wohl aber ein Aufstand gegen den Gott der Frommen: Sollte man es denn tatsächlich annehmen können, sollte man es wirklich glauben dürfen, daß Gott selbst, der wahre Gott, sich hinter einen solchen unerhörten Neuerer stellt, der sich, revolutionärer als alle Revolutionäre, über Gesetz und Tempel erhebt und sich sogar zum Richter über Sünde und Vergebung aufschwingt? Käme Gott nicht in Widerspruch zu sich selbst, wenn er einen solchen Sach-Walter hätte? Wenn ein solcher mit Recht Gottes Autorität und Willen gegen Gottes Gesetz und Tempel in Anspruch nehmen, mit Recht sich die Vollmacht zu solchem Reden und Handeln zuschreiben dürfte? Ein Gott der Gottlosen, und ein Gotteslästerer als sein Prophet!?
    Die nicht selbstverständliche Anrede
    Unermüdlich versucht es Jesus mit allen Mitteln deutlich zu machen: Gott ist wirklich so, er ist wirklich ein Vater der Verlorenen, wirklich ein Gott der moralischen Versager, der Gottlosen. Und sollte das nicht eine ungeheure Befreiung für alle sein, die mit Mühen und Schuld beladen sind? Aller Anlaß zur Freude und Hoffnung? Es ist kein neuer Gott, den er verkündigt; es ist nach wie vor der Gott des Bundes. Aber dieser alte Gott des Bundes in entschieden neuem Licht. Gott ist kein anderer, aber er ist anders ! Nicht ein Gott des Gesetzes, sondern ein Gott der Gnade! Und rückwärtsblickend läßt sich vom Gott der Gnade her auch der Gott des Gesetzes besser, tiefer, eben gnädiger verstehen: das Gesetz schon als ein Ausdruck der Gnade.
    Freilich, selbstverständlich ist dies alles für den Menschen nicht. Da ist ein Umdenken mit allen Konsequenzen, da ist ein wirklich neues Bewußtsein, ein eigentliches inneres Umkehren gefordert, gründend in jenem unbeirrbaren Vertrauen, das man Glaube nennt. Jesu ganze Botschaft ist ein einziger Appell, sich nicht zu ärgern, sondern sich zu ändern: sich auf sein Wort zu verlassen und dem Gott der Gnade zu trauen. Sein Wort ist die einzige Garantie, die den Menschen gegeben wird dafür, daß Gott wirklich so ist. Wer diesem Wort nicht glaubt, wird seine Taten der Dämonie verdächtigen. Ohne sein Wort bleiben seine Taten zweideutig. Nur sein Wort macht sie eindeutig.
    Aber wer immer sich auf Jesu Botschaft und Gemeinschaft einläßt, dem geht an Jesus der auf, den er mit » mein Vater « anredete. Mit »Vater« – Vater, wie er ihn (nicht im Gegensatz zu Mutter) verstand – war der Kern des ganzen Streits getroffen. Der sprachliche Befund gibt dafür eine merkwürdige Bestätigung. Bei dem großen Reichtum an Gottesanreden, über die das antike Judentum verfügt, ist es erstaunlich, daß Jesus gerade die Anrede »Mein Vater« ausgewählt hat. Vereinzelte Aussagesätze über Gott den Vater findet man in der Hebräischen Bibel. Nirgendwo jedoch ließ sich bis jetzt in der Literatur des antiken palästinischen Judentums die individuelle hebräische Gottesanrede »Mein Vater« nachweisen. Nur im hellenistischen Bereich gibt es, wohl unter griechischem Einfluß, einige spärliche Belege für die griechische Gottesanrede »patér«.
    Aber noch außergewöhnlicher ist der Befund bezüglich der aramäischen Form von Vater = »Abba«: Jesus scheint nach den vorliegenden Zeugnissen Gott stets mit »Abba« angeredet zu haben. Nur so erklärt sich der nachhaltige Gebrauch dieser ungewöhnlichen aramäischen Gottesanrede selbst in griechisch sprechenden Gemeinden. Denn umgekehrt gibt es in der gesamten umfangreichen sowohl liturgischen wie privaten Gebetsliteratur des antiken

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