Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
jedenfalls, kein Jurist, ließ es mit seinen unbedingten Appellen bewenden, die in der jeweiligen Situation zu realisieren waren. Das zeigt sich am Beispiel des Eigentums , wo Jesus, wie noch zu sehen sein wird, weder allen den Verzicht noch auch das Gemeineigentum verordnet hat: Der eine wird den Armen alles opfern, ein anderer die Hälfte geben, wieder ein anderer durch ein Darlehen helfen. Die eine gibt für Gottes Sache das Letzte, andere üben sich in Dienst und Fürsorge, eine dritte treibt scheinbar sinnlose Verschwendung. Gesetzlich geregelt wird hier nichts. Und so braucht es auch keine Ausnahmen, Entschuldigungen, Privilegien und Dispensen vom Gesetz!
Die Bergpredigt zielt freilich keineswegs auf eine oberflächliche Situationsethik, als ob einfach das Gesetz der Situation dominieren dürfte. Nicht die Situation soll alles bestimmen. Vielmehr, in der betreffenden Situation, die unbedingte Forderung Gottes selbst, die den Menschen ganz in Beschlag nehmen will. Im Hinblick auf das Letzte und Endgültige, das Gottesreich, wird eine grundlegende Veränderung des Menschen erwartet.
»Jesus« (2012), S. 126 – 137.
Jesus – der Konflikt
Jesu Glaube, Botschaft und Geschick sind untrennbar miteinander verbunden. Gleichermaßen sachlich wie einfühlsam wird dies von Hans Küng in vorliegendem Text beschrieben, und er schafft damit einen authentischen Zugang zum Geheimnis des Nazareners.
Der Streit um Gott
Der aus Israels Geschichte wohlbekannte eine und einzige Gott, sprechend in den Erfahrungen der Menschen und angesprochen in ihrem Antworten und Fragen, Beten und Fluchen: daß dieser Gott ein naher und lebendiger Gott mit menschlichem Antlitz ist, darüber war (und ist heute zwischen Christen und Juden) kein Streit notwendig. Es läßt sich sogar sagen, daß Jesus nur das Gottesverständnis Israels mit besonderer Reinheit und Konsequenz erfaßt hat. Nur?
Revolution im Gottesverständnis
Jesu Originalität darf in der Tat nicht übertrieben werden; das ist wichtig für das Gespräch mit den Juden heute. Oft tat und tut man so, als ob Jesus als erster Gott den Vater sowie die Menschen seine Kinder genannt habe. Als ob Gott nicht in verschiedensten Religionen Vater genannt würde, auch bei den Griechen: Genealogisch schon in Homers Epen, wo Zeus, der Sohn des Chronos, als der Vater der Götterfamilie erscheint. Kosmologisch geläutert dann in der stoischen Philosophie, wo die Gottheit als der Vater des vernunftdurchwalteten Kosmos und der mit ihm verwandten und von ihm umsorgten vernunftbegabten Menschenkinder gilt.
Doch gerade angesichts des religionsgeschichtlichen Befundes wird auch schon die Problematik der Anwendung des Vaternamens auf Gott sichtbar, worauf im Zeitalter der Frauenemanzipation zu Recht neu aufmerksam gemacht wird. Ist es denn so selbstverständlich, daß die geschlechtliche Differenzierung auf Gott übertragen wird? Ist Gott ein Mann, maskulin, viril? Wird nicht gerade hier Gott nach dem Bild des Menschen, ja genauer des Mannes geschaffen? Im allgemeinen treten die Götter in der Religionsgeschichte geschlechtlich differenziert auf, wiewohl es vielleicht schon am Anfang zweigeschlechtliche oder geschlechtsneutrale Wesen gegeben hat und sich auch später immer wieder doppelgeschlechtliche Züge zeigen. Es muß aber zu denken geben, daß in den mutterrechtlichen Kulturen die »große Mutter«, aus deren Schoß alle Dinge und Wesen hervorgegangen sind und in den sie zurückkehren, an der Stelle des Vatergottes steht. Sollte das Matriarchat älter sein als das Patriarchat – die Frage ist unter den Historikern nach wie vor umstritten –, so wäre der Kult der Muttergottheit, von welchem etwa in Kleinasien der spätere Marienkult gewichtige Impulse übernommen hat, dem des Vatergottes auch zeitlich vorangegangen.
Aber wie immer diese historische Frage entschieden wird: Die Vaterbezeichnung für Gott ist nicht nur von der Einzigkeit Jahwes bestimmt. Sie erscheint auch gesellschaftlich bedingt, geprägt von einer männerorientierten Gesellschaft. Gott ist jedenfalls nicht gleich Mann .
Schon in der Hebräischen Bibel, bei den Propheten, zeigt Gott auch weibliche, mütterliche Züge . Aus heutiger Perspektive aber muß dies noch deutlicher gesehen werden. Die Vaterbezeichnung wird nur dann nicht mißverstanden, wenn sie nicht im Gegensatz zu »Mutter«, sondern symbolisch (analog) verstanden wird: »Vater« als patriarchales Symbol – mit auch matriarchalen Zügen – für eine
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