Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
solcher einseitiger katholischer Darstellungen ausgesprochen. Leider ruft eine einseitige Darstellung meist auch ein einseitiges Echo hervor. Wie oft ließ man gerade in der Rechtfertigungslehre die Ansichten aufeinanderprallen und teilte dabei nur Luftstreiche aus. Wie manche Darstellung war zwar nicht offen polemisch, aber doch verborgen polemisch bestimmt ! Wie manche Angriffsfläche läßt umgekehrt eine ruhige, unpolemische Darstellung verschwinden! Wir möchten die Behauptung wagen, die hier allerdings Behauptung bleiben muß: Auch in der Kirchen- und Sakramentenlehre ließe sich ein Großteil der Divergenzen durch eine ausgeglichene (nicht kompromißlerische) und zugleich theologisch gründliche Darstellung aus dem Wege räumen. Ließe sich z. B. nicht besser vom Primat reden, wenn man durch alle theologischen Primatsthesen hindurch ebenso stark sehen ließe, daß der Papst allerdings der vicarius Christi , aber doch auch nur wieder der vicarius Christi ist? Ließe sich nicht besser von der Kirche reden, wenn man durchgehend nicht nur ihre Einheit mit dem Haupte, sondern auch ebenso überzeugend ihre Distanz vom Haupte, die unbeschränkte Herrschaft Jesu Christi über seine Kirche beleuchtete? Ließe sich nicht sogar besser von der »natürlichen« Gotteserkenntnis reden, wenn man sie nicht nur durch irgendwelche Philosophumena oder Theologumena, sondern vor allem von der Schöpfung in Jesus Christus her begründete? Ähnliches gilt von verschiedenen Fragen in Mariologie und Sakramentenlehre. Sei dem allem im einzelnen wie immer, eines scheint auf alle Fälle wahr zu sein: Hätten wir in diesen Problemkreisen mehr gut ausgewogene, katholische Darstellungen (was klare Stellungnahmen nicht ausschließt), die zugleich theologisch gut unterbaut wären (was manchen gut gemeinten ökumenischen Schriften zu fehlen scheint), so würde es Barth (und anderen Protestanten) zum mindesten sehr erschwert sein, aus einer richtigen Grundposition heraus antikatholische Folgerungen abzuleiten.
Theologie ist Leben, und Leben Theologie. Wer meinte, Leben und Theologie trennen zu können, verfiele einer untheologischen und toten Abstraktion. Die gegenseitige Bedingtheit von kirchlichem Leben und kirchlicher Theologie kann sehr fruchtbar sein für die Theologie, sie kann aber auch sehr belasten. Gerade weil die Theologie immer auch als eine Lebensäußerung der Kirche gewertet wird, nützt die schönste Theologie nichts, wenn sie nicht durch das praktische Leben der Kirche gedeckt wird. Die beste Theologie kann dem Andersgläubigen hohl erscheinen, wenn das praktisch-kirchliche Leben dieser Theorie widerspricht. Die beste Abhandlung über die katholische Rechtfertigungslehre überzeugte den Andersgläubigen nicht, wenn das kirchliche Leben nicht die Rechtfertigung durch den Glauben, sondern durch die Werke predigte. …
Nun sind wir ja hier in der katholischen Reform seit 400 Jahren ein gutes Stück weitergekommen, obwohl im Kampfe gegen die praktische Werklerei auch heute noch sehr viel zu tun bleibt … Aber ist nicht gerade im Problemkreis Kirche–Sakramente die katholische Theologie durch das kirchliche Leben vor den Evangelischen besonders belastet? Die Evangelischen schweigen heute oft vornehm darüber hinweg. Man kann sich aber in jedem ökumenischen Gespräch leicht davon überzeugen, wie schwer gewisse Erscheinungen des katholischen Lebens die katholische Theologie von Kirche, Primat, Maria, Sakramente, Tradition belasten. Man belastet die katholische Kirche zwar nicht mit »Mißbräuchen« die schließlich überall vorkommen können; aber eben, wo liegt denn die Grenze zwischen Nichtbrauch und Mißbrauch?
Es wird beim ökumenischen Gespräch in diesem Fragenkreis alles darauf ankommen, daß man die Einheit von Theologie und Leben nie aus den Augen verliert. Daß hinter guter katholischer Theologie nicht immer gutes katholisches Leben steht, ist mit ein Grund, warum Barth in diesem Fragenkreis nicht konsequent weiterdenkt.
Unter diesen Präzisierungen möchten wir an unserem Ergebnis festhalten, daß in der Rechtfertigungslehre, aufs Ganze gesehen, eine grundsätzliche Übereinstimmung besteht zwischen der Lehre Barths und der Lehre der katholischen Kirche; in diesem Fragenkreis gibt es für Barth keinen echten Grund für eine Trennung von der alten Kirche.
Das Ergebnis ist bedeutungsvoll: nicht so sehr wegen Barth – wir sagten schon am Anfang, es gehe nicht um ein »für oder gegen Barth«, sondern um
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