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Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Titel: Was bleibt: Kerngedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Umstritten war Pascal schon zu seinen Lebzeiten, und auch aus der Rückschau werden viele Zweifel an Voraussetzungen und Folgen seines Glaubens wieder wach. Ich gruppiere sie um drei Stichworte: anthropologischer Pessimismus, moralischer Rigorismus, unpolitischer Privatismus.
    Ein Religionsverständnis auf der Basis eines anthropologischen Pessimismus im Geiste des älteren Augustin konnte auf die Dauer nicht tragfähig sein; erst recht konnte es nicht die seit Thomas’ Humanismus und Renaissance auch in der scholastischen Theologie verbreitete und besonders von Jesuitentheologen bejahte Hochschätzung des Menschlichen ersetzen. Wie sollte es sich mit der Vernunft vereinbaren lassen, daß jeder Mensch ohne Rücksicht auf seine Taten durch einen unerforschlichen Ratschluß Gottes zum Heil oder eben zum Unheil vorherbestimmt sei, daß er in jedem Fall durch die Ur- und Erbsünde in seiner Natur verdorben und in seinem Willen unwiderstehlich von der bösen Begierlichkeit beherrscht werde – überwindbar nur durch Gottes ebenfalls unwiderstehliche Gnade?
    Eine Religionspraxis mußte für die Zukunft der Moderne untauglich sein, die auf moralischem Rigorismus basiert: Dem Menschen wird strenge Entsagung und Demütigung, asketische Selbstquälerei und ein sinnenfeindlicher Spiritualismus zugemutet, Musik und Komödie (nicht die Tragödie!) abgelehnt, überhaupt alles Vergnügen lebenspessimistisch verdächtigt; in der religiösen Disziplin werden die Anforderungen (für Beichte und Kommunionempfang) verschärft. Darf man aber Selbsterniedrigung vor Gott statt als Dienst am Mitmenschen als Selbstzerstörung begreifen? Muß man sein eigenes Ich hassen, um Gott von Herzen zu lieben? Führt der christliche Weg zu Gott nicht eher über die Zuwendung zum Du statt über die Vernichtung des Ich: die Nächstenliebe (nach dem Maß der Eigenliebe!) als Erfüllung der Gottesliebe? Tatsächlich, solche Art äußerer »Askese« (»Übung« der Entsagung, Abtötung, Selbstverleugnung) auf Kosten des Menschlichen und Mitmenschlichen, für die es im Neuen Testament keine Grundlage gibt, hat in der Neuzeit nicht wenigen humanistisch Gesinnten Gottesglauben und Christentum gründlich vergrämt.
    Eine Religion mußte bei der Gestaltung der aufsteigenden Moderne versagen, die sich auf den Bereich des Privaten beschränkt und zu wenig gesellschaftlich und politisch wirksam ist: Religion auf der Grundlage eines unpolitischen Privatismus? Hier müssen wir noch ein letztes Mal einen Blick in das französische 17.   Jahrhundert werfen, welches ja nicht nur das Goldene Zeitalter der französischen Philosophie, Wissenschaft und Literatur, sondern auch das der absoluten Monarchie, des Elends der Bauern, ständiger Revolten und ihrer blutigen Unterdrückung ist.
    Keine Frage: jene spiritualistisch-verinnerlichte Frömmigkeit bildet den Hintergrund dafür, warum Pascal, so hochempfindsam er in vielfacher Hinsicht ist, doch keine Witterung zeigt für die Heraufkunft jener sich ebenfalls schon im 17.   Jahrhundert – in der Säkularisierung von Politik und Staatslehre – ankündigenden vierten modernen Großmacht, der Demokratie! …
    Die ungeheure Not des Volkes, das später den Tod des Roi Soleil, des Sonnenkönigs, mit Verwünschungen und Steinen auf dessen Sarg begrüßen wird, ist Pascal wohlbekannt. Bis an die Grenzen des finanziell Tragbaren setzt er sich besonders in seinen letzten Jahren in Paris tagtäglich für die Armen und Hungernden ein: Die Einkünfte der Omnibusgesellschaft vermacht er Spitälern; eine mittellose Familie (mit einem an Pocken erkrankten Kind) nimmt er in sein Haus auf; Pferde, Karosse, Gobelins, Silber, Möbel verkauft er; sterben will er im Hospital der Unheilbaren. Nein, anders als etwa nach ihm Rousseau lebt Pascal das, was er sagt. Aber bei allem Respekt vor seiner Person: Können christliche Nächstenliebe, fromme Worte, Almosen und individuelle Caritas das politische Engagement auf Dauer ersetzen? Obwohl das Königtum, die größte und wichtigste Sache der Welt, die Schwäche, nämlich die Dummheit des Volkes, zum Fundament habe, meint Pascal, könne es trotzdem erstaunlich sicher sein: weil nämlich nichts so sicher sei wie dies, daß das Volk schwach bleiben werde.
    Darin aber sollte er sich täuschen. Als das »Licht der Vernunft« sein Werk der Aufklärung auch im Volke zu tun begann, als der epochale Mißbrauch der Religion zugunsten der Herrschenden immer mehr durchschaut und jenes (seit den Karolingern

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