Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
Kopernikus, Kepler und Galilei für den Menschen existentiell bedeuten: das Gefühl der Verlorenheit im endlosen, undurchdringlichen Weltall, aus welchem keine Stimme des Schöpfers mehr zu hören ist. »Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschreckt mich« (Fr 206), notiert er. Was ist dann angesichts dieser Unendlichkeit des Raumes der Mensch? Vor dem All ist er ein Nichts! Aber doch auch umgekehrt: Was ist angesichts des Mikrokosmos, der Unendlichkeit im Kleinen, der Mensch? Vor dem Nichts ist der Mensch ein All! Dies macht die Disproportion, das grundlegende Mißverhältnis, macht Elend undGröße des Menschen in der Welt aus: »Ein Nichts gegenüber dem Unendlichen, ein All gegenüber dem Nichts, eine Mitte zwischen Nichts und All. Unendlich entfernt vom Begreifen der äußersten Grenzen, sind ihm das Ziel aller Dinge und ihr Ursprung unüberwindbar verborgen in einem undurchdringlichen Geheimnis« (Fr 72). Daß aber der Mensch um diese seine problematische, hochgefährdete Zwitterstellung weiß, das macht seine Würde aus: »Wenn das All ihn vernichtete, wäre der Mensch doch noch edler als was ihn tötet, da er weiß, daß er stirbt und die Übermacht des Alls kennt; das All aber weiß davon nichts« (Fr 347).
Pascal indessen ist nicht nur ein sensibler Analytiker der kosmologischen, sondern auch der psychologischenAmbivalenz des Menschen: einer der frühen großen »Entdecker des Ich« (Richard Friedenthal). In immer neuen Formen beschreibt er die Doppelbödigkeit alltäglich-menschlicher Existenz. Was verbirgt sich hinter all dem gesellschaftlichen Ämterbetrieb, den Liebesabenteuern, hinter Jagd und Tanz, Spiel und Sport? Was entdeckt man, schaut man hinter alle Masken? Ist es nicht überall eine Angst des Menschen vor dem Alleinsein? Entsteht nicht von daher ein Gefühl von Verlorenheit, Ohnmacht, ja Leere? Pascal notiert: »Unversehens steigt da vom Grund seiner Seele die Langeweile herauf, die Melancholie, die Traurigkeit, der Gram, der Überdruß, die Verzweiflung« (Fr 131).
So könnte man nun Fragment um Fragment interpretieren, um die menschliche Situation in all ihren Schattierungen von Pascal skizziert zu finden. Ich will nur eines hier ins Zentrum stellen, das uns besonders nahe ist und beinahe die Stimmung der heutigen No-future-Generation zum Ausdruck bringt: »Ich weiß nicht, wer mich in die Welt gesetzt hat, noch was die Welt ist, noch was ich selbst bin. Ich bin in einer schrecklichen Unkenntnis aller Dinge, ich weiß nicht, was mein Leib ist, was meine Sinne, meine Seele, sogar was jener Teil meines Ich ist, der denkt, was ich sage, der über alles und über sich selbst nachdenkt und sich selbst ebensowenig erkennt wie alles übrige. Ich sehe diese grauenvollen Räume des Alls, die mich einschließen, und bin an einen Winkel dieses weiten Weltenraumes gefesselt, ohne zu wissen, weshalb ich an diesen Ort gesetzt worden bin und nicht an einen anderen; warum die kurze Zeit, die mir zum Leben gegeben ist, gerade in diesem Moment und nicht in einem anderen der ganzen Ewigkeit, die mir vorausgegangen ist und mir folgt, gemessen wurde. Ich sehe ringsum nur Unendlichkeiten, die mich einschließen wie ein Atom, und wie einen Schatten, der nur einen Augenblick dauert ohne Wiederkehr« (Fr 194). Und Pascal endet mit einem Ausblick auf das Sein zum Tod: »Alles was ich kenne, ist, daß ich bald sterben muß, aber was ich am wenigsten kenne, ist gerade dieser Tod, den ich nicht zu vermeiden weiß. – Wie ich nicht weiß, woher ich komme, weiß ich auch nicht, wohin ich gehe; ich weiß nur, daß ich beim Verlassen dieser Welt für immer entweder in das Nichts oder in die Hände eines erzürnten Gottes fallen werde, ohne zu wissen, welche dieser beiden Möglichkeiten auf immer mein Teil sein muß. Das also ist meine Situation, voll der Schwäche und Ungewißheit« (ebd.).
Worum also geht es diesem Mann? Pascal geht es anders als Descartes nicht nur um die Ungewißheit des menschlichen Wissens, sondern um die radikale Ungesichertheit der menschlichen Existenz.Kierkegaard, Dostojewski und Kafka, Heidegger, Jaspers und Sartre werden diese später noch eingehender analysieren, aber auch keine dramatischeren Worte finden als Pascal, der schließlich ausruft: »Was für eine Chimäre ist doch der Mensch! Was für eine Novität, was für ein Monstrum, was für ein Chaos, was für ein Subjekt des Widerspruchs, was für ein Wunder! Richter aller Dinge, einfältiger Erdenwurm; Verwalter des
Weitere Kostenlose Bücher