Was danach geschah
aktiv an Ottos Leben teil, indem sie zerrissene Militäruniformen flickte, mit ihm zu Vorträgen und Ausstellungen zum Zweiten Weltkrieg ging, seltene Sammlerstücke für ihn als Geschenk kaufte und Waffenhändlern versicherte, dass ihr Sohn die Waffen mit ihrem vollen Einverständnis erwarb und von ihr finanziell unterstützt wurde. Auch Amina, der Otto seine Sammlung nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis als Willkommensgruß zeigte, fand nichts Schlimmes an der Leidenschaft ihres Patenkindes. »Tausende von Jungs sind doch von solchen Sachen begeistert«, überlegte sie. »Und abgesehen davon, ist es nicht Zeit, sich mit der Vergangenheit zu versöhnen, statt vor ihr davonzulaufen?«
Ottos Sammlung deutscher Kriegsandenken und die Bekanntheit von Amina Rabun machten ihn in gewisser Hinsicht berühmt, als sein Highschool-Abschluss nahte. Amina ermutigte ihn, hin und wieder Besucher in die Villa einzuladen. Normalerweise kamen nur neugierige Jugendliche, doch manchmal auch eifrige Sammler und selbst Museumskuratoren, die ihre eigene Ausstellung erweitern wollten. Dank dieser Verbindungen und dank Tante Aminas Rückkehr tauchte Otto langsam aus seiner Phantasiewelt wieder auf, in die er sich zurückgezogen hatte.
Eines Nachmittags kam Tim Shelly zu Besuch in die Villa, ein untersetztes Scheusal, das nur ein Jahr älter war als Otto. Er hatte dünne Lippen und blassblaue Augen, und sein Haar war so kurz geschoren, dass die Kopfhaut zu sehen war. Tim kam in Begleitung seines Vaters, Brian. Die beiden hätten, abgesehen vom Alter, fast Zwillinge sein können. Sie seien, wie sie erklärten, nach einem Jagdausflug in Kanada auf der Durchfahrt auf dem Weg nach Hause zu ihrer Pilzzucht in Pennsylvania. Sie hätten von Ottos Sammlung gehört und würden sie gerne sehen. Sie waren sogar bereit, Eintrittsgeld zu bezahlen.
Otto bekam Angst. Tim sah aus wie einer der Jungs, die ihn aus Jux zu Boden werfen und ihm einen Tritt in die Rippen verpassen würden. Er versuchte noch rasch, sich eine Ausrede auszudenken, doch sein Kopf war wie leergefegt. Schließlich führte er sie widerwillig nach hinten zum Vogelhaus. Sobald Brian und Tim den Schrein betraten und das erste Ausstellungsstück erblickten – einen SS-Offizier in voller Uniform –, nahmen ihre Gesichter einen feierlichen, ehrfurchtsvollen Ausdruck an, als beträten sie das Allerheiligste einer Kirche. Mit großen Augen und offenstehenden Mündern betrachteten sie die verschiedenen Ausstellungsstücke, zeigten mit den Fingern darauf und drückten flüsternd ihre Begeisterung aus, während Otto erklärte, was die Stücke bedeuteten und wie er sie erworben hatte. Otto belohnte den Respekt der beiden damit, dass er Brian gestattete, seinen wertvollsten Besitz in die Hand zu nehmen, eine Luger mit den Initialen »H.H.«, von der behauptet wurde, sie wäre Heinrich Himmler abgenommen worden, als ihn die britischen Truppen verhaftet hatten. Brian neigte den Kopf und umfasste die Waffe mit seinen großen Händen, als empfinge er ein heiliges Sakrament. Dann sagte er etwas völlig Unerwartetes: »Wir wollten dir noch sagen, dass wir das, was man deiner Patentante Amina angetan hat, für ein Verbrechen halten.«
Ottos Herz machte einen Hüpfer. Zum ersten Mal drückte ein Fremder sein Mitgefühl für das aus, was geschehen war.
»Lügen«, sagte Brian und spannte mit gekonntem Zucken seines Handgelenks den Hahn. »Und mit der größten Lüge überhaupt fängt alles an … der Holocaust-Lüge.«
Brian zielte mit der Pistole auf Tim und befahl ihm, die Hände zu heben, doch Tim versetzte seinem Vater einen Schlag gegen das Handgelenk, entriss ihm die Waffe und richtete sie auf ihn. Um seinem Sohn in nichts nachzustehen, reagierte er ebenso schnell, indem er Tims Handgelenk packte, es hinter dessen Rücken bog und ihn entwaffnete. So nahm er seinen Sohn in den Schwitzkasten, während er ihm die Waffe an die Schläfe drückte. Otto sah dem Schauspiel bewundernd und vergnügt zu.
»Okay«, keuchte Tim. »Du hast gewonnen … diesmal.«
Brian betätigte den Abzug, so dass der Hammer mit einem hohlen Klick auf den Schlagbolzen traf.
»Keine Gnade«, schimpfte er mit seinem Sohn. »Du hättest mich erledigen sollen, als du die Gelegenheit dazu hattest. Du hast gezögert. Wie oft habe ich dir das schon gesagt?« Er nahm ihn noch einmal kräftig in die Mangel, bevor er ihn losließ und Otto anlächelte. »Es gab keine Vernichtungslager«, sagte er. »Die Juden haben alles
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