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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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beschäftigte, eine wirkungsvolle Therapie gegen ihre tiefe Depression waren.
    Barbara hingegen war überglücklich angesichts der plötzlichen unersättlichen Neugier ihres Sohnes. Sie deutete dies als ersten Schritt, mit dem er sein Schicksal erfüllte, sich als Retter der Familie Rabun zu beweisen. Als Ausdruck ihrer Begeisterung und Entschlossenheit, ihn zu ermutigen und zu unterstützen, fuhr sie mit Otto zu dessen sechzehntem Geburtstag zehn Tage nach Deutschland. Zufällig fiel diese Reise mit der Wiedervereinigung des Landes nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes zusammen und bescherte ihnen somit den Luxus, Kamenz, Dresden und Berlin ungehindert besuchen zu können.
    Sie begannen mit einem Besuch der schlecht gepflegten Familiengräber auf dem Friedhof außerhalb von Kamenz. Hier lagen Ottos Großmutter, Urgroßvater, Tante und Onkel, die von den sowjetischen Soldaten ermordet worden waren. Ehrfürchtig standen sie vor dem übergroßen Denkmal für den kleinen Helmut Rabun, errichtet aus den verbogenen Trägern seiner Schule, die von der Bombe der Alliierten zerstört worden war.
    So herzzerreißend dieser Besuch für Otto und seine Mutter auch war, verblasste er im Vergleich zu Barbaras Schmerz und Schrecken, als sie die Ruinen des einst so großartigen Anwesens erblickte, auf dem die Rabuns gelebt und wo sich die unaussprechlichen Grausamkeiten ereignet hatten. Die Qualen seiner Mutter hinterließen bei Otto einen tiefen Eindruck. In diesem Moment schwor er sich, das in der Vergangenheit geschehene Unrecht wieder zu richten und die Würde und den Ruhm der Familie Rabun wiederherzustellen. Zum ersten Mal akzeptierte er offen erkennbar den Auftrag seiner Mutter als seinen eigenen.
    Otto kehrte von dieser Reise als veränderter junger Mann zurück, nachdem er die Welt entdeckt hatte, zu der er, wie er glaubte, wirklich gehörte. Leider existierte der größte Teil dieser Welt nur in der Vergangenheit. Die Welt der Stille, in die sich Otto zurückzog, begann, sich mit Stimmen zu füllen – mit den Bitten verarmter deutscher Arbeiter, die sich in den 1920er Jahren nach dem Ersten Weltkrieg erniedrigt fühlten, mit den leeren Hypothesen deutscher Intellektueller und den gebrochenen Versprechen deutscher Politiker in den 1930er Jahren, den strategischen Entscheidungen der Feldmarschälle und den grausamen Befehlen der KZ-Wärter in den 40ern. Während Ottos Klassenkameraden von der Schule nach Hause rannten, um sich vor den Fernseher zu setzen oder ins Kino zu gehen, rannte Otto in die Bibliothek, um mehr über die Geschichte des deutschen Volkes zu lesen. Wie ein Mann, der zu verhungern drohte, verschlang er deutsche Texte, Geschichten, Biographien und Romane.
    Als die geschriebenen Worte allein nicht mehr reichten, um ihn in die Welt hineinzuversetzen, in die er gehörte, begann er, sein Zimmer mit Gegenständen anzufüllen: Familienfotos von Kamenz in silbernen Rahmen, ein Backstein aus dem für Amina und Helmut von ihrem Vater gebauten Sandkasten, vergilbte Blätter aus den Geschäftsberichten der Firma Jos. A. Rabun & Söhne. Bald erweiterte er seine Sammlung mit den Erinnerungsstücken aus den gigantischen Tagen des Dritten Reichs – eine rote Flagge mit dem mächtigen Hakenkreuz, Karten von Europa, die zeigten, was war und hätte werden können, eine heißbegehrte Armbinde samt Kappe der Hitlerjugend. Als Ottos Zimmer mit diesen und ähnlichen Gegenständen überzuquellen drohte, ließ er seine Vögel aus dem Vogelhaus frei, das er in ein kleines Museum und einen Schrein verwandelte. Er begann, Waffenausstellungen statt Bibliotheken zu besuchen, wo sich rasch herumsprach, dass sich ein junger betuchter Sammler für echte deutsche Militärausrüstung und Waffen interessierte. Bald boten Vermittler und Händler ihre Waren an, und Otto bewaffnete einen kleinen Zug arischer Schaufensterpuppen mit deutschen Bajonetten, Pistolen, Gewehren und sogar einigen untauglich gemachten deutschen Maschinenpistolen und Granaten – alles Kriegsbeute, Mitbringsel von amerikanischen Soldaten und an den Meistbietenden verkauft.
    Barbara, die von ihren eigenen Dämonen verfolgt wurde, konnte nicht unterscheiden zwischen Familienstolz und dem, was sich für ihren Sohn zu einem gefährlichen, romantischen Fanatismus entwickelte. Glücklich finanzierte sie mit dem schwindenden, aber immer noch ansehnlichen Vermögen der Familie Rabun Ottos Hobby und mit diesem die Wiedergeburt ihrer frühen Kindheit. Sie nahm auch

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