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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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Welt, in der er sich gegen Ursachen, Auswirkungen und Anklagen abschottete. Er tauchte aus seiner Welt nur auf, wenn es notwendig war, um auf real werdende Drohungen seiner Mutter zu reagieren, um in Prüfungen seine Auffassungsgabe für Konzepte und Zahlen zu beweisen, die weit über die seiner Klassenkameraden hinausging, und um wöchentlich mit Tante Amina zu korrespondieren und sie einmal im Monat in einem Frauengefängnis in der Nähe von Rochester zu besuchen.
    Doch das Gefängnis verwandelte Tante Amina in eine andere Frau. Sie war nicht mehr die Patentante, die Otto bewundert hatte. Sie war am Boden zerstört wegen des Verrats durch Katharina Schrieberg, Alice Guiniere und fast alle anderen Menschen in ihrem Leben; entehrt durch die Nazi-Vergangenheit ihres Vaters; verschmäht von der Öffentlichkeit; verachtet, eingesperrt und beinahe bankrott. Sie verbitterte, wurde mürrisch und zeigte erste Anzeichen einer klinischen Depression.
    Ein kleiner Hoffnungsschimmer für Amina, Barbara und Otto war das Angebot des Staatsanwalts, durch eine Zusammenarbeit die Haftstrafe von dreißig auf drei Jahre zu verkürzen – womit sie, um genau zu sein, am Wochenende ihres siebenundsechzigsten Geburtstags wieder auf freiem Fuß sein würde. Dazu würde sie lediglich alles offenbaren müssen, was sie über die Organisation wusste, die ehemaligen Nazis zur Flucht verholfen hatte. Dies würde bedeuten, ihren engen Freund und Anwalt, Hans Stössel, den israelischen Nazi-Jägern auszuliefern.
    Einen solchen Verrat zu begehen schreckte Amina ab. Sie ging nicht davon aus, dass Nazis unschuldig oder eines besonderen Schutzes würdig waren. Vielmehr glaubte sie, dass alle Menschen Mitgefühl verdienten und jemand irgendwo anfangen müsste. Um dieser naiven Idee willen hatte sie ihr Leben riskiert und einer verfolgten jüdischen Familie geholfen, und später einer Nazi-Familie, als diese an der Reihe gewesen war. Hatte sie jemanden bevorzugt? Amina hatte in ihrem Leben allerdings viel mehr als die meisten Menschen erlitten. Es war zu viel verlangt, den Rest ihres Lebens im Gefängnis zu verbringen, um einen guten Freund zu beschützen, dem sie alles verdankte. Sie hatte bereits genug dafür bezahlt, dass sie andere beschützt hatte. Nun war es an der Zeit, sich selbst zu schützen und ihre Vergangenheit ein für alle Mal hinter sich zu lassen. Außerdem wollte sie die Zeit mit Otto verbringen, bevor er ein erwachsener Mann sein würde. Und so stimmte sie einer Zusammenarbeit zu.
    Auf der Grundlage von Aminas Zeugenaussage vor der Anklagejury wurde Hans Stössel während eines Londonurlaubs festgenommen und nach Israel ausgeliefert. Er verlor seine Heimat, seine Familie, seine Anwaltslizenz und sein Vermögen. Er starb innerhalb eines Jahres in einer israelischen Gefängniszelle an einer Lungenentzündung.
    Obwohl Hans Stössel einige Jahre vor Amina Rabun starb, saß er seine Zeit in Schemaja ab. Als ihm Amina schließlich nach Schemaja folgte, wurde er auserwählt, ihre Seele vor dem Jüngsten Gericht zu präsentieren. Dieser Verhandlung hatte ich mit selbstgerechter Empörung beigewohnt, angefeuert von dem offensichtlichen Interessenkonflikt und der Tatsache, dass Hans Stössel nur die Hälfte ihres Falls präsentieren konnte. Doch meine Einwände gegen die in den Gerichtsverhandlungen herrschende Ungerechtigkeit lösten sich auf, als ich Otto Bowles’ Seele präsentieren sollte.

32
    Als ich im Gedächtnis meines Mörders kramte, erfuhr ich unter anderem, dass es die als Ungerechtigkeit empfundene Inhaftierung seiner Tante Amina war, die ihn dazu veranlasste, sich seinem Familienerbe zu widmen. Seltsamerweise, überraschenderweise, empfand ich kurzzeitig so etwas wie Verständnis und Zuneigung für Otto, als ich in diese Momente seines Lebens eintauchte.
    Seine Briefe, die er Tante Amina ins Gefängnis schickte, wurden schnell zu Fragebögen für seine in Gedanken geschriebene Geschichte, mit der er den Namen Rabun reinwaschen wollte. Er flehte sie an, ihm haarklein das Leben ihrer niedergegangenen Familie zu erzählen, angefangen bei Joseph Rabun, dem Patriarchen und Gründer des Unternehmens, das seinen Namen trug und der einst eine Quelle des Stolzes und jetzt der Schande war. Amina widersetzte sich zunächst seiner Neugier, weil sie die Erinnerungen nicht verkraftete. Da Otto jedoch nicht lockerließ, öffnete sie sich nach und nach und entdeckte für sich, dass die Briefe, in denen sie sich mit der Vergangenheit

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