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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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Rückwärtsgang ein und drücke aufs Gas. Plötzlich ein ohrenbetäubender Knall, die Heckscheibe explodiert, Glasscherben hageln ins Wageninnere. Otto liegt auf dem Kofferraum, den Oberkörper durchs Heckfenster geschoben, und zielt im Polizeistil mit ausgestreckten Armen auf Sarah, die im Fußraum hinter den Vordersitzen liegt. Ich trete auf die Bremse und bringe den Wagen zum Stehen.
    »Zwingen Sie mich nicht, das zu tun!«, schreit Otto. »Zwingen Sie mich nicht, das zu tun!« Sein Oberkörper hebt und senkt sich, jeder Muskel in seinem Körper ist angespannt.
    »Tu es!«, ruft Tim von der anderen Seite des Wagens, die Augen im Wahn weit aufgerissen. »Tu es, sofort!«
    Otto zögert. In diesem Moment der Unentschiedenheit schalte ich den Motor aus und reiche Otto den Schlüssel nach hinten.
    »Nimm«, sage ich kaum hörbar mit zitternder Stimme, verzweifelt darauf bedacht, ihn zu beruhigen. »Bitte. Sie ist doch nur ein Baby.«

36
    »Also, wie lange bist du schon Mitglied bei der Elf ?«, fragte Otto Bowles den bärtigen, gutgekleideten dunkelhaarigen Mann, der ihm an dem kleinen Cocktailtisch gegenübersaß. Er nippte während des Gesprächs an seinem Bier, ein Auge immer auf das Baseballspiel auf dem Fernseher über der Bar gerichtet.
    »Ich bin eigentlich kein Mitglied«, erwiderte der Mann. Er stieß, am Spiel nicht interessiert, den Rauch seiner Zigarette aus. » Die Elf unterstützt, was ich tue, und ich unterstütze, was sie tut.«
    Es war später Nachmittag im Sommer, draußen schien die Sonne, und die Bar war ansonsten leer. Otto war noch nicht volljährig und dürfte keinen Alkohol trinken, doch Trudy, die Besitzerin der Bar am Fuß eines Berges zwischen Huntingdon und Altoona, schenkte ihren Kunden ohne Rücksicht auf deren Alter Alkohol aus. Sie war eine füllige Frau mit leuchtend rotem Haar. An diesem Nachmittag sah sie sich von ihrem Platz hinter der Bar das Spiel im Fernsehen an und wartete auf Gäste. Der Mann, der gegenüber von Otto saß, war eindeutig volljährig, trank aber Mineralwasser mit einem Strohhalm.
    »Ja!«, freute sich Otto und ballte seine Hand zur Faust, als ein Läufer über das Schlagmal rannte. »Da haben die Pirates am Ende vom Spiel gerade noch mal gepunktet. Sie holen auf.« Er schluckte sein Bier und rülpste so, wie er glaubte, dass an Sport interessierte Männer rülpsten.
    »Du musst aber zugeben, Sam, ein paar Typen von der Elf haben sich ziemlich hochgeschaukelt«, fuhr Otto fort. »Ich bin der Deutscheste von allen und tierisch stolz auf mein Erbe, aber ich glaube, die gehen mit ihrem Rassistenkram ein bisschen zu weit. Ich habe viel über den Zweiten Weltkrieg gelesen. Der hat Deutschland erst die Probleme gemacht. Wenn Hitler weniger extrem gewesen wäre und den Ball im Auge behalten hätte, wäre der Krieg wahrscheinlich völlig anders ausgegangen. Dann wäre Deutschland anstelle der Vereinigten Staaten heute die Supermacht.«
    »Möglich«, räumte Sam ein. »Aber Hitler kam gerade dank seiner Exzentrizität und seiner Exzesse so weit. Wer weiß, vielleicht war er nicht exzessiv genug. Die extremen Gedanken des einen sind die Offenbarung und der Ruf nach Revolution des anderen. Jedenfalls haben die Mitglieder der Elf mir geholfen. Ich bin ihnen was schuldig.«
    Otto griff nach seinem Bier und wandte sich wieder dem Baseballspiel zu. Er wünschte, er hätte das Thema nicht angeschnitten. Er genoss die Kameradschaft der Elf , die paramilitärische Ausbildung und die Paintball-Kriegsspiele – und natürlich die Tatsache, dass alle ihn wegen seiner Familienvergangenheit wie etwas Besonderes behandelten. Doch ihre rasende Wut auf Juden und Schwarze ließ sie wie einen Haufen Fanatiker und Spinner aussehen. Dass Sam sie verteidigte, machte ihn wohl auch zum Fanatiker, was enttäuschend war, weil Otto jemanden suchte, der genauso dachte wie er. Bisher hatte Sam vernünftiger gewirkt als die anderen. »Woher stammst du?«, wechselte er das Thema.
    »New York.«
    »Ich meine deine Familie. Woher stammt der Name Samar Mansour … Frankreich?«
    »Nein, Palästina«, sagte Sam.
    Otto betrachtete Sam genauer. Jetzt erkannte er auch das Arabische in dessen Gesicht, den dichten schwarzen Bart und die dunkle Haut. Aber woher hatte er diese blauen Augen? Otto hatte nie zuvor einen Araber kennengelernt, und er konnte sich nicht vorstellen, wie die Mitglieder der Elf es fertigbrachten, gerade einem Araber zu helfen. Sie hassten jeden, der nicht weiß und Christ war. Vielleicht

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