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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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ganze Menge. Das könnt ihr alles haben, wenn ihr uns gehen lasst. Wenn ihr die Sache jetzt beendet, bekommt ihr keine Schwierigkeiten.«
    Otto sagt nichts. Fünf Minuten vergehen, dann zehn und fünfzehn. Wir fahren auf einem vierspurigen Highway weiter nach Süden Richtung Harrisburg.
    »Warum tut ihr das hier?«, frage ich.
    »Warum?«, fragt Otto ungläubig, ohne den Blick von der Straße vor uns abzuwenden. »Weil Harlan Hurley heute verurteilt wurde. Wegen Ihrem jüdischen Mann hat er fünfzehn Jahre bekommen, deswegen.«
    »Harlan Hurley?«
    »Ja, gucken Sie kein Fernsehen? Ihr jüdischer Mann war am Gericht und hat schadenfroh vor seiner Fernsehkamera darüber berichtet.«
    Rasierte Köpfe, Hemden in Tarnfarben … ich beginne zu verstehen.
    »Ihr seid Mitglieder der Elf ?«, frage ich. Mein Entsetzen könnte nicht größer sein. Ich möchte ihm sagen, dass ich Brek Cuttler heiße, nicht Brek Wolfson, dass ich Katholikin und nicht Jüdin bin und auch Sarah keine Jüdin ist, weil sie dafür eine jüdische Mutter haben müsste. Aber damit würde ich meinen Mann und meinen eigenen Glauben verraten. Ich würde Gott verraten. In diesem Moment frage ich mich, was ich getan hätte, wäre ich von den Nazis verhört worden. Hätte ich ihnen gesagt, ich wäre keine Jüdin, um mich und Sarah zu retten und zuzulassen, dass sie Bo mitnehmen?
    Ein Wagen der Staatspolizei überholt uns. Ich spüre die Waffe nicht mehr auf meinen Rippen und hebe die Hand, um dem Polizeiwagen ein Zeichen zu geben, was Otto aber bemerkt. »Schauen Sie, Mrs Wolfson, Ihr Baby mag das neue Spielzeug, das ich ihm gegeben habe«, sagt er. Die Mündung der Waffe steckt in Sarahs Hand. Ich gebe meinen Versuch auf.
    »Warum tut ihr das?«, frage ich erneut, als der Polizeiwagen vor uns verschwindet. »Die Regierung lässt Hurley nicht frei, nur weil ihr uns entführt habt. Wenn es um die Verurteilung von Verbrechern geht, lässt sie sich nicht erpressen.«
    »Weil jemand die Wahrheit erzählen muss«, antwortet Otto.
    »Worüber?«
    »Über den Holocaust … über meine Familie.«
    »Bist du Harlan Hurleys Sohn?«
    »Nein, ich bin der Sohn von Barbara Rabun. Amina Rabuns Patensohn. Erinnern Sie sich an sie, Mrs Wolfson?«
    Mein Gott, von diesem Jungen hat Bo mir heute am Telefon erzählt. Hier geht es nicht um ein Urteil oder um eine politische Aussage, es geht um Rache.
    Wir lassen Harrisburg und dann Lancaster hinter uns, biegen schließlich vom Highway ab und fahren weiter durch die hügelige Landschaft von Chester County Richtung Delaware. Eine Viertelstunde später befinden wir uns auf einer gewundenen Nebenstraße, auf der die an uns vorbeifliegenden Schilder auf die Orte Kennet Square, Lenape und Chadds Ford hinweisen. Die knorrigen, alten Eichen entlang der zweispurigen Straße johlen uns zu, werfen tanzende Schatten mit ihren winkenden Ästen wie Verdammte, die uns am Eingang zur Hölle begrüßen. Auf unserem Weg in den Abgrund peitscht das Laub in roten, gelben und orangefarbenen Flammen auf uns zu. Mir ist schlecht vor Angst, und meine Gedanken überstürzen sich. Wie lange wird es dauern, bis Bo die Polizei ruft? Er erwartet uns spätestens um acht zurück, und dann ruft er wahrscheinlich auf der Arbeit und in der Tagesstätte an, um nach uns zu fragen. Vielleicht denkt er sich noch, dass wir im Supermarkt oder im Einkaufszentrum waren. Zehn Uhr – es gibt keinen Grund, dass wir so lange fortbleiben. Erst wird er wahrscheinlich meine Eltern anrufen, dann den Fernsehsender, ob sie etwas von einem Unfall wüssten, und dann die Polizei. Die wird die Information wohl aufnehmen, aber als Ursache für mein Fernbleiben eher häuslichen Streit vermuten und abwarten. Wer weiß, wann man anfangen wird, nach uns zu suchen, wahrscheinlich erst morgen.
    Die Kurven nehmen zu, der Straßenbelag wird immer schlechter. Wir fahren jetzt eine steile Schotterstraße hinab durch einen Wald bis zu einem zerfurchten Weg, der durch ein offenes, überwuchertes Feld führt, dann wieder in einen Wald und einen noch steileren Weg hinab. Es gibt keine Straßenlaternen oder Stromleitungen mehr. Der Himmel ist pechschwarz – keine Sterne und kein Mond, die uns Hoffnung und Trost spenden könnten. Das letzte Haus liegt bereits mehrere Kilometer hinter uns verschlafen in der kühlen, vom Duft nach Ernte, moderndem Laub und Äpfeln geschwängerten Luft. Wieder gerate ich in Panik.
    Sie werden uns töten! Sie haben uns ins Niemandsland gebracht, um uns zu

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