Was danach geschah
könnte. Als wäre die Vernunft als Passagier in diesem Wagen gefangen gewesen und hätte nur darauf gewartet, durch meinen Blick befreit zu werden. Heiß und kalt, Alpträume, Halluzinationen … Fieber? Ja, natürlich! Fieber würde all das erklären, was mit mir hier geschah! Ich erinnerte mich jetzt, dass mir Freitag unwohl gewesen war und ich überlegt hatte, ob ich mich erkältete, weil sich meine Haut kühl und feucht angefühlt hatte. Ich sah mich im Garten um und hinauf zum Haus. Dann blickte ich auf meine Beine und Füße hinab und spannte meine linke Hand an. Alles war genau dort, wo es sein sollte, und alles funktionierte, wie es funktionieren sollte. Nur die Jahreszeiten waren fehl am Platz, und das konnte eindeutig vom Fieber herrühren.
Ich muss in so was wie einem Delirium ins Haus meiner Großeltern gefahren und zusammengebrochen sein.
Nana war nicht mehr da, als ich wieder hineinging. Das Geschirr in der Spüle war fortgeräumt, die Arbeitsfläche sauber. Alles war mit einer dünnen Staubschicht überzogen, als hätte die Küche wochenlang niemand benutzt. Der Herd war kalt, und auch der Duft von Muffins hing nicht mehr in der Luft.
Dann habe ich mir doch alles nur ausgedacht. Ich bin tatsächlich im Haus meiner Großeltern in Delaware.
Ich rannte nach oben ins Badezimmer und betrachtete mich im Spiegel. Dort sah ich aschfahle Haut, blutunterlaufene Augen und schwarzes Haar, das so weit in Ordnung, aber zerzaust war. Vorsichtig öffnete ich mit den Fingerspitzen meinen Bademantel. Die Löcher in meiner Brust und die roten Flecken waren fort. Ich lachte reumütig, dass ich überhaupt nachgesehen hatte. Ich nahm das Thermometer aus dem Medizinschrank und schob es unter meine Zunge: einundvierzig Grad. Das bestätigte meine Selbstdiagnose. Offensichtlich brauchte ich einen Arzt, aber was noch offensichtlicher war: Ich lebte!
Ich ging ins Schlafzimmer meiner Großeltern und rief zu Hause an, wo sich aber nur der Anrufbeantworter meldete.
»Bo, ich bin’s«, sagte ich. »Bist du da? Bo? Ich weiß nicht, was passiert ist … ich glaube, ich bin richtig krank. Ich habe Fieber, und ich glaube, ich bin auch in Ohnmacht gefallen. Ich bin in Delaware im Haus meiner Großeltern. Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin, ich kann mich an nichts mehr erinnern, nachdem ich Sarah gestern von der Tagesstätte abgeholt habe. O Gott, ich hoffe, ihr geht’s gut. Sie ist nicht bei mir, niemand ist da … es tut mir so leid. Sie muss Hunger haben. Im Schrank ist noch Babymilch, und im Keller sind Windeln … ich weiß nicht, ob ich nach Hause kommen oder lieber hier zum Arzt gehen soll … ich glaube, mir geht’s schon ein bisschen besser, deswegen versuche ich lieber, nach Hause zu fahren. Ich kann ja immer wieder umdrehen. Gut … ich werde in ein paar Stunden da sein. Gib Sarah einen Kuss von mir … ich liebe euch. Tschüs.«
Meine Kleider lagen ordentlich neben dem Gästebett – mein schwarzes Seidenkostüm mit den Flecken von der Babymilch, aber ohne Anzeichen von Blut am Revers, daneben meine Bluse, Strümpfe, Unterwäsche und Schuhe. Und auch meine Handtasche mit dem Geldbeutel und den Schlüsseln lag dabei. Ich zog mich rasch an und hinterließ eine Nachricht für meine Großeltern, um ihnen mitzuteilen, dass ich da gewesen war und ihnen später alles erklären würde.
6
Die Herbstsonne wärmte das Innere meines Wagens, das herabgefallene Laub türmte sich auf der Motorhaube, während am entgegengesetzten Ende der Auffahrt Bäume ausschlugen und Krokusse blühten. Dazwischen schmolz ein Schneesturm zu den schwülen Dämpfen eines Hochsommertages dahin. Ich musste mir irgendeine seltene tropische Krankheit, vielleicht Denguefieber, zugezogen haben. Was auch immer es war, es war besser als der Tod.
Ich schob den Schlüssel ins Zündschloss und hielt den Atem an, noch immer unsicher, ob das Fieber nachgelassen hatte. Standen mir noch mehr Überraschungen bevor? »Gott sei Dank!«, stöhnte ich laut, als der Motor aufheulte. Mein Wagen war immer mein Heiligtum gewesen, der einzige Ort der Welt, an dem ich trotz meines fehlenden Armes auf gleicher Stufe mit allen anderen stand und selbst bestimmte. Ich hatte keine spezielle Autonummer, ich brauchte nicht auf speziellen Parkplätzen vor den Geschäften zu parken, doch in jeder anderen Hinsicht war mein Wagen behindertengerecht ausgestattet. Meine Eltern hatten ihn mir zu meinem Highschool-Abschluss geschenkt, und Opa Cuttler hatte in der
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