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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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Schnee von der Fensterbank. »Während deines Lebens träumtest du nur, wach zu sein.« Sie begann, das Bett zu machen, ohne auf das Blut auf dem Laken zu achten. »Gehen wir nach unten und frühstücken«, forderte sie mich auf, während sie die Steppdecke glattzog. »Ich habe die Karottenmuffins genau so gemacht, wie du sie magst. Den Ausflug auf den Tussey Mountain können wir später machen. Ich weiß, wie sehr du dich darauf gefreut hast.«
    Noch vergnügt vom Traum, beobachtete ich sie. »Aber der Morgen ist noch nicht angebrochen, und ich bin noch nicht wach«, beharrte ich. »Wäre ich wach, wärst du fort. Also wechseln wir lieber das Thema.« Nana legte ihre faltige raue Hand auf meinen Arm. Sie fühlte sich echt an, sollte mich davon überzeugen, dass ich nicht träumte, doch ich ließ mich davon nicht beeindrucken. »Tote sprechen nicht«, fuhr ich fort. »Und sie haben keine Augen, mit denen sie einander ansehen, oder Körper, die sie berühren können.«
    Sie drückte meinen Arm. »Das stimmt, meine Liebe«, sagte sie. »Aber im Moment ist es noch leichter für dich, den Tod so zu sehen. Du bist noch nicht bereit, das Leben loszulassen.«
    »Aber ich bin nicht tot«, protestierte ich. »Schau.«
    Zum Beweis sprang ich auf und ab, tanzte im Schlafzimmer umher und wedelte mit den Armen.
    Nana lächelte nachsichtig. »Deine Mutter hätte dir keine Ohrfeige geben sollen«, erklärte sie. »Ich hätte auch Angst gehabt. Ich kann mir nicht vorstellen, was sie sich dabei dachte, ein vierjähriges Mädchen zu zwingen, eine tote alte Frau zu küssen.«
    Ich blickte sie entsetzt an. Dies war einer der Momente in einem Alptraum kurz vorm Aufwachen, wenn die Sache, vor der man sich fürchtet, gleich passieren wird, und man weiß, man kann sie nicht aufhalten; ein Moment absoluten Horrors, bei dem man mitten in der Nacht aufschreit. Genau das tat ich. Mit einem gellenden »Neiiiiiin!« rannte ich die Treppe hinunter, durch die Küche, an der Spüle voller Backgeschirr und dem Tisch mit dem Teller mit Karottenmuffins vorbei und zur Hintertür hinaus. Auf der Veranda blieb ich stehen und hoffte, es würde alles vorbeigehen.
    Ich stellte mir vor, ich würde meine Hand zur anderen Bettseite hinüberschieben und Bos Hüfte, auf der sich der Stoff seiner Boxershorts bauschte, und seine nach oben gezogenen Beine berühren, und er wäre ganz warm und weich. Ich kuschelte mich an ihn, schmiegte meinen Körper an seinen, wie sich ein Fluss an die Form des Ufers anschmiegt und sich durch das definiert, was er nicht ist. Seine Haut roch männlich und intensiv, und sein Bart kitzelte meinen Arm, als er über sein Kinn strich. Ich küsste ihn auf den Nacken und passte meinen Atem dem sich hebenden und senkenden Rhythmus seines Brustkorbs an. Er bewegte sich und schmatzte leise. Es musste drei oder vier Uhr morgens sein, weil ich das schwache Lachen der Collegestudenten hörte, die in unserer Straße wohnten und von ihrer Freitagabendparty nach Hause kamen. Doch als ich die Augen öffnete, um auf die Uhr auf der Kommode zu blicken, stand ich noch immer auf Nanas Veranda in Delaware, wo sich vier Jahreszeiten gleichzeitig abspielten und ich den Verstand verlor.
    »Bo! Bo!«, rief ich.
    »Brek, Schatz, es ist alles in Ordnung«, rief Nana aus der Küche. »Ich bin ja hier.«
    »Bo! Halt mich fest! Halt mich fest!«
    Doch ich spürte ihn nicht mehr.
    Ich sprang von der Veranda und rannte ums Haus, in der Hoffnung, die plötzliche Anstrengung würde mich aufwecken. Ich rannte durch Winter, Sommer, Frühling und Herbst, vorbei an der Eiche mit der Traktorreifenschaukel, um den Garten, der gleichzeitig grün und kahl war, durch Beete mit Tulpen, von denen der Tau tropfte, und Chrysanthemen, die mit Schnee bedeckt waren. Ich stolperte über eine Wurzel und landete mit dem Gesicht nach unten auf weichen Nadeln, der Bademantel um mich herum ausgebreitet wie die Flügel einer abgestürzten Taube. Einen Moment blieb ich keuchend so liegen, atmete den süßen Tannenduft ein und suchte nach Antworten – nach logischen, sachlichen Antworten. Was passierte mit mir? Warum konnte ich mich nicht selbst aus dem Schlaf reißen? Dies war der schrecklichste Traum, den ich je gehabt hatte.
    Ich erhob mich, strich die Nadeln von meinem Bademantel und blickte mich um. Zu meiner Überraschung sah ich meinen Wagen hinter den Rhododendronbüschen. Plötzlich wich das magische Licht zurück und nahm die Vorstellung mit sich, dass all dies ein Traum sein

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