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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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meiner Kostümjacke, so dass ich mich zu ihm umwenden musste.
    »Du hast es mit Absicht getan.« Er deutete auf den leeren Ärmel. »Was eigentlich ziemlich mutig war. Nun, es gibt kein Kind, das nicht von dem Wissen getröstet einschläft, dass es, wenn es einen Schritt zu weit geht, seinen Eltern das vorenthält, was sie am meisten lieben. Kinder spielen dieselben gefährlichen Spiele wie Erwachsene mit ihren Raketen, doch anders als Erwachsene erkennen die meisten Kinder, dass es sinnlos ist zu gewinnen, und deswegen verlieren sie. Du nicht, Brek Cuttler. Nein, du hast die Anweisung deines Großvaters, dich von der Transportkette fernzuhalten, als Einladung genutzt, um ein Pfund deines eigenen Fleisches gegen die Freude zu tauschen, den Schmerz auf den Gesichtern deiner Eltern zu sehen und das Leiden in ihren Stimmen zu hören.«
    Ich war verblüfft. Mein dunkelstes Geheimnis. Seine Taktik wirkte auf Anhieb. Jetzt erinnerte ich mich, wer ich war, und dass mein Leben ganz anders war als das der Seelen in der Bahnhofshalle.
    »Woher weißt du das?«, fragte ich.
    »Oh, ich weiß viele Dinge über dich, Brek Cuttler.«
    »Dann müsstest du auch wissen, dass sie sich scheiden lassen wollten«, erklärte ich. »Und dass meine Mutter Alkoholikerin war und mein Vater sie schlug und … Du müsstest wissen, dass ich dachte, ich würde mich nur leicht verletzen, als ich in die Maschine griff, aber nicht, dass ich meinen Arm verlieren würde. Ich wollte nur, dass sie zuhören. Verstehst du das? Ich wollte, dass sie zusammenbleiben. Ist das für ein Kind zu viel verlangt?«
    Ich funkelte Luas an, als wäre er mein Vater. Luas schwieg.
    »Du hast kein Recht, über mich zu urteilen«, fuhr ich fort. »Ich wurde mein gesamtes Leben für die Sünde bestraft, meine Eltern zusammenhalten zu wollen. Ich habe für mein Verbrechen mehr als gebüßt. Du kennst also alle meine Geheimnisse? Du weißt von den Phantomschmerzen, wenn man glaubt, der Arm tut weh, obwohl er gar nicht mehr da ist? Weißt du, wie es ist, einen anderen Menschen nicht vollständig umarmen zu können, weil ein Arm fehlt? Weißt du, wie es ist, sich zu baden, sich anzuziehen, zu essen und zu schlafen, wenn man nur eine Hand hat? Wie es ist, von anderen Kindern gehänselt und von Erwachsenen grausam behandelt zu werden? Weißt du, wie unangenehm es ist, Fremden zu begegnen? Weißt du, wie es ist, Kleider mit einem nutzlosen rechten Ärmel anzuziehen?«
    »All das wurde schon vor langer Zeit vergeben«, erwiderte Luas.
    »Vergeben? Wirklich? Ich erinnere mich an niemanden, der mir vergeben hat.«
    »Bitte, Brek, setz dich«, forderte er mich auf.
    Ich ließ die Türklinke los und setzte mich zu ihm auf die Bank. In die Wand gegenüber waren zwei Skulpturen gehauen. Eine war ein buddhistischer Tempel am Fuße der Berge von Tibet, die andere eine Synagoge am Fuße des Sinai. Hier am Bahnhof wirkten sie fehl am Platz. Luas bemerkte meinen Blick.
    »Hast du vom Buch des Lebens und vom Buch des Todes gehört?«, fragte er.
    Ich nickte.
    »Es gibt sie nicht«, sagte er.
    Ich stieß erleichtert, aber übereilt die Luft aus.
    »Gott führt diese Bücher nicht. Wir tun das. Jeder von uns. Eine Aufzeichnung von allen Gedanken, Worten und Taten in unserem Leben. Die Speicherung ist ziemlich perfekt, nur die Erinnerung ist unvollständig. Ein Schaden ist das nicht. Diese Einschränkung erfolgt aus wichtigen Gründen. Traumatische Erlebnisse zu vergessen hilft, mit dem Leben zurechtzukommen und sich nicht von der wachsenden Last der Erfahrungen unterkriegen zu lassen. Die Erinnerung ist keine mangelhafte Aufzeichnung auf Band, wie uns vorgegaukelt wird, sondern das Abspielgerät für die Musik, die wir auswählen – oder eben nicht auswählen. Mit dem richtigen, also einem qualitativ hochwertigen Gerät lässt sich die Musik mit hoher Klangtreue und Genauigkeit wiedergeben, fast so, als würden wir sie in echt hören.«
    Obwohl die Reliefs auf der anderen Seite in Stein gehauen waren, verwandelten sie sich wie in einer zähflüssigen Masse in bedrückend belebte Bilder, während Luas sprach. Zwei erhöhte Throne, umgeben von großen Haufen zerknüllter Schriftrollen, erschienen anstelle des Tempels und der Synagoge, davor standen in langen Reihen nackte Menschen mit eierförmigen, kahlen Köpfen, von denen die Gesichter fortgewischt waren. Dünn, dick, jung, alt, männlich, weiblich, groß, klein – alle trugen eine Schriftrolle, von denen einige dick und schwer, andere dünn

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