Was danach geschah
sie, weil er klarstellen will, wer der Vater und wer der Sohn ist. Er will seine biologische Stellung als Kläger behaupten und Tad in die des Beschuldigten verweisen. Er muss seine Autorität geltend machen, darüber urteilen zu können, was richtig und was falsch ist, wer recht hat und wer im Unrecht ist. Er schwört sich, Bonnie Campbell ab jetzt öfter zu nehmen, sich damit zu brüsten und es Tad unter die Nase zu reiben. Denn er glaubt, eine Tat kann keine Sünde sein, wenn sie in aller Öffentlichkeit verübt und wenn jemandem damit eine Lektion erteilt wird. Und Tad soll es ja nicht wagen, etwas dagegen zu sagen oder es seiner Mutter zu erzählen und zu riskieren, ihr Leben zu zerstören. Und wenn Tad seinen Mund nicht halten kann, wird Toby seine Tat nicht leugnen, weil am Ende Claire selbst schuld ist, dass er sich einer anderen Frau zugewendet hat, und nicht er, weil er zu schwach ist.
Plötzlich rückt Bonnie Campbells schäbige Wohnung in den Hintergrund und der Gerichtssaal in den Vordergrund. Die Präsentation ist vorüber, und die Lichter leuchten wieder auf. Haissem verbeugt sich feierlich vor dem Monolithen und kommt zu mir und Luas.
»Die Verhandlung ist vorbei«, sagt er. »Das Urteil wurde gefällt.«
11
Nach der Verhandlung von Toby Bowles wusste ich, dass ich nicht mehr zu der lebendigen Welt gehörte wie einst – zu eurer Welt, dort auf der Erde. Etwas Bedeutsames war mit mir geschehen, etwas, das die Realität in so absoluter Weise veränderte und durch einen neuen Archetyp der Existenz ersetzte, die ich nicht mehr hinausschieben oder leugnen konnte. Die Frage war nicht, ob ich den Tod akzeptierte oder nicht, ebenso wenig wie jemand sein Leben akzeptierte oder nicht. Es ging um etwas viel Einfacheres, nämlich darum, anzuerkennen, dass jetzt ist, was ist, und alles andere nicht mehr ist.
Seltsam war, dass ich meinen Tod akzeptierte, ohne erschreckt zu sein. Auf eine Weise fühlte ich mich befreit. Ich brauchte nicht mehr die abstrusen Dinge einzuordnen, die mit mir und um mich herum geschahen. Ich brauchte nicht nach einer Heilungsmöglichkeit für eine Krankheit oder Verletzung zu suchen, die es nicht gab. Am wichtigsten war, dass ich die vielen Bürden des Lebens nicht mehr zu tragen brauchte – arbeiten gehen, duschen, Zähne putzen, essen, schlafen, Sport treiben oder mich um meinen Mann oder meine Tochter kümmern. Der Tod ist die ultimative Urlaubserholung von allem.
Doch Sarah vermisste ich schrecklich. Ich sehnte mich nach ihr, und der Schmerz, von ihr getrennt zu sein, war unerträglich. Da ich mich allerdings damit trösten konnte, dass Sarah weiterlebte, obwohl ich selbst tot war, spürte ich nicht die schreckliche, zehrende Trauer einer Mutter, die gerade ihr Kind verloren hatte. Ich konnte mit den Lebenden nicht kommunizieren und somit nicht erfahren, was auf der Erde passierte, doch Sarah war nicht bei mir in Schemaja, was ich als etwas Gutes deutete. Dass Sarah ein ausgefülltes, glückliches Leben führen würde, half mir, meinen eigenen Tod leichter hinzunehmen. Am Tag ihrer Geburt, als ich sie das erste Mal in meine Arme nahm, wusste ich, wie jede Mutter es weiß, dass ich mein Leben bereitwillig für ihres opfern würde. In dem Wissen, nicht mehr Teil ihres Lebens zu sein – nicht mehr dort zu sein, um ihre Geburtstagsfeiern auszurichten, ihre Halloween-Kostüme zu nähen, ihr beim Auspacken ihrer Weihnachts- und Chanukkah-Geschenke und bei der Vorbereitung auf ihre erste Verabredung oder der Einrichtung ihres Studentenzimmers zu helfen, auf ihrer Hochzeit zu tanzen oder bei der Geburt meines ersten Enkels bei ihr zu sein – all das schmerzte aufs Heftigste. Doch zumindest würde sie diese Dinge, die Freuden des Lebens, erleben. Und so wie ich mit meiner toten Urgroßmutter vereint wurde, würden Sarah und ich eines Tages wieder vereint sein.
So wechselte ich wegen der Trennung von Sarah und Bo zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Doch ich durchlebte auch unerwartete, dunklere Gefühle von Scham und Erniedrigung. Das Gefühl, meinem Mann, meiner Tochter und mir selbst gegenüber versagt zu haben, drängte sich mir immer wieder auf. Der Tod ist letzten Endes der Fehler im Leben, der nicht mehr rückgängig zu machen ist, er ist das, wovor wir uns fürchten, was wir bekämpfen und um alles auf der Welt vermeiden wollen und dem sich unser biologischer Instinkt und unser Gefühl widersetzen. Selbst die Worte, die dies beschreiben, sind abwertend: Man hat sein Leben
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