Was danach geschah
später. Toby Bowles schwankt unter der Last seines mittleren Alters. Das Bedauern über die verlorene Jugend, der Verfall seines Körpers, die Angst vor dem sich nähernden Tod, die vergebliche Suche nach Sinn und Bestätigung – all das verbittert ihn, macht ihn ruhelos und depressiv. Sein Haar ist dünner, seine Sorgenfalten sind tiefer geworden.
Er geht auf eine kleine Gartenwohnung in Morrisville in New Jersey zu und öffnet die Tür mit einem Schlüssel, den Bonnie Campbell für ihn unter einen losen Backstein gelegt hat. Die Wohnung ist dunkel. Er dreht sich um, um die Tür zu schließen, wie er es immer tut, doch Bonnie wartet bereits und bläst ihm heißen Atem ins Ohr, der im gleichen Moment seine Sinne entfacht. Er lässt den Türknauf los und huscht, noch geblendet vom grellen Sonnenlicht, mit Bonnie ins abgedunkelte Schlafzimmer.
Bonnies Bademantel gleitet auf den schäbigen goldfarbenen Teppich und enthüllt einen faltigen Körper, den Toby nur dank des versöhnlichen Kerzenlichts begehrt – und weil Bonnies Lust auf ihn widerlegt, was er von sich selbst im Spiegel sieht. Die Bettdecke ist zurückgeschlagen und ihre Finger und Lippen vereinen alles, was gegensätzlich, anders und verboten ist. Die Freude ist köstlich, lässt die Zeit stehenbleiben. Doch die Seligkeit ist ein vergängliches Gut, zerplatzt in dem Moment, als das Schloss der Haustür klackt. Toby richtet sich kerzengerade auf, Bonnie versteckt sich unter der Decke und streckt nur den Kopf heraus wie ein Murmeltier aus seinem Erdloch. Eine Silhouette erscheint in der Tür zum Schlafzimmer.
»Claire, Schatz?«, fragt Toby mit vor Reue zitternder Stimme, überwältigt von seinem schlechten Gewissen, das ihn plagt, seit er die Affäre mit Bonnie Campbell vor sechs Monaten begann. Dennoch ist er beinahe erleichtert, dass endlich alles vorbei sein wird und er sein Verbrechen gestehen und sie um Vergebung bitten kann. Die Kerzen auf der Kommode flackern in einem unsichtbaren Luftstrom, erholen sich wieder, als dieser vorbeigezogen ist, und beleuchten die Tränen, die am Gesicht des Eindringlings hinablaufen.
»Das ist nicht Claire!«, schreit Bonnie und zieht die Decke bis ans Kinn. »Das ist Tad!«
Bonnie Campbell kennt Tad, seit er ein kleiner Junge war. Eigentlich war sie eng mit Claire, Tobys Frau und Tads Mutter, befreundet. Damit war für Toby die Begegnung noch erniedrigender, als wenn es Claire selbst gewesen wäre. Bonnie besaß in der kleinen Stadt den einzigen Zooladen. Dort kaufte Tad mindestens eins von jeder Tierart, stieg bei der Auswahl die Evolutionsleiter immer weiter hinauf, je älter er wurde und je mehr er in der Lage war, sich um die Tiere zu kümmern: zunächst eine Ameisenfarm, dann einen Fisch, eine Eidechse, einige Rennmäuse und Hamster, ein Kaninchen, eine Katze und schließlich einen Hund, einen Deutschen Schäferhund. Nach der Schule arbeitete er sogar in ihrem Laden. Tad kannte ihren Sohn, Josh, der viel jünger war als er. Er kannte ihren Exmann, Joe. Er hatte oft bei ihnen zu Hause gegessen.
Bonnie ist empört. Sie ist stolz, bereut nicht, was sie getan hat, als sie die Nachttischlampe einschaltet und Tad damit herausfordert, etwas zu sagen. Doch Tad sieht sie nicht. Er sieht nur seinen Vater – nackt, keuchend, erstaunt. Tränen laufen an seinem Gesicht hinab. Wortlos dreht er sich um und verlässt die Wohnung.
Tobys schlechtes Gewissen und Reue verpuffen genauso schnell, wie sie gekommen sind. Wut und ein Gefühl von Verrat machen sich in ihm breit. Er schämt sich nicht für sein Verhalten, sondern für das seines Sohnes. Er könnte verstehen, wenn Claire ihm nachspionierte, doch Tad? Sein achtzehn Jahre alter Sohn? Und einfach dastehen und weinen, wie Claire es eigentlich hätte tun müssen? Diese Peinlichkeit setzt allen anderen Peinlichkeiten und Enttäuschungen, für die Tad im Lauf der Jahre sorgte, die Krone auf: sein mangelndes Interesse an Sport, sein Mangel an Freunden, seine Schwäche und seine Unfähigkeit, seinen eigenen Mann zu stehen, sein Eintreten für seine Mutter gegen Tobys Beschimpfungen. Tad missbilligte Toby in jeder Hinsicht und stellte sich bei jeder Gelegenheit gegen ihn, doch jetzt hat er die Grenze überschritten.
Toby schaltet das Licht aus und schlüpft ins Bett zurück. Er nimmt Bonnie mit einer zuvor nie ausgedrückten Leidenschaft, aber nicht, weil er ein starkes Verlangen nach ihr spürt. Eher noch kommt sie ihm plötzlich hässlich und abstoßend vor. Doch er nimmt
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