Was danach geschah
von Vorräten auf dem Schwarzmarkt eingenommen hatte, gab er für Sheila aus, nicht für sich selbst – und auch nicht für seine eigenen Kinder.
Das einzige andere Foto neben dem Bett in Sheilas Zimmer war vom Leiter des Heims an dem Tag aufgenommen worden, an dem Toby ihr einen Terrierwelpen geschenkt hatte. Jack – so hatte sie ihn genannt – war ein Jahr später von einem Auto überfahren worden und in den Himmel gekommen. Arm in Arm, zwischen sich das Fellbündel, grinsten Sheila und Toby in die Kamera – die stolze Schwester und der reiche Geschäftsmann aus der großen Stadt. Wer sonst, dachte sie, hätte ihr ein solch ungewöhnliches Geschenk kaufen können?
Sheila Bowles starb im Schlaf, ein Jahr, bevor Tobys Affäre mit Bonnie Campbell begann. Toby beerdigte sie an einem schrecklichen Februarmorgen auf einem kleinen Friedhof in der Nähe des Hauses am See, nicht weit entfernt von dem kleinen Holzkreuz mit dem Namen »Jack«, den sie selbst dort eingeritzt hatte. Toby übergab seine Schwester ihrem Schöpfer. Die Welt werde nie wieder von einer solchen Unschuld gesegnet werden, sagte er mit gebrochener Stimme, die vom Wind über den Hügel getragen wurde, in seiner Rede an den Schöpfer, seine Familie und die wenigen anderen Anwesenden aus dem Heim.
»Aber all das hat Gott nicht mitbekommen!«, unterbrach ich Haissem in seiner Repräsentation, wodurch der Gerichtssaal zum Teil wieder sichtbar wurde. »Im Moment der Wahrheit zeigt sich Toby Bowles’ Leben von der guten Seite, aber er wird ohne Berufung in die Hölle geworfen … verschwindet spurlos? Was für eine Art Gott leitet eine solche Gerichtsverhandlung?«
»Ein gerechter Gott«, antwortete Luas. »Der Gott der Sintflut. Haissem hat den Fall durch Mr Bowles’ eigene Gedanken und Taten präsentiert. Lässt sich davon etwas leugnen?«
»Nein«, gab ich zu. »Aber in der Verhandlung wurden nur die Sünden präsentiert.«
»Dann waren nur seine Sünden relevant«, entgegnete Luas, verärgert über meine Herausforderung. »Es war der Richter, der die Präsentation beendet hat, Brek, nicht Haissem. Uns steht es nicht zu, die Schwere von Toby Bowles’ Vergehen abzuwägen und zu bestimmen, was gerecht und ungerecht ist. Ich habe dich davor gewarnt zu spekulieren.«
»Moment, Luas«, meldete sich Haissem zu Wort. »Es ist richtig, dass Brek sich Sorgen macht. Das zeigt, dass sie ihre Aufgabe ernst nimmt, und genau das wollen wir. Die Fehler und Triumphe von Tobys Leben zu verstehen kann ihr helfen, wenn sie den Gerichtssaal im Namen ihres ersten Mandanten betritt.« Er wandte sich zu mir. »Die Geschichte geht noch weiter. Möchtest du den Rest sehen?«
Luas wollte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. »Ich meinte damit nicht, dass die anderen Abschnitte in Tobys Leben unwichtig waren«, sagte er. »Ich wollte darauf hinaus, dass die Gerechtigkeit eine Angelegenheit Gottes ist, nicht unsere, und dass für Gerechtigkeit gesorgt wird.«
»Ich verstehe, Luas«, stimmte Haissem knapp zu. »Und ich wollte darauf hinaus, dass die Gerechtigkeit bei der Verhandlung von Toby Bowles überhaupt keine Rolle spielt.«
Luas sah Haissem misstrauisch an. »Dem muss ich bei allem gebührenden Respekt widersprechen.«
Haissem überging diese Bemerkung und wandte sich wieder mir zu. »Ich werde die Präsentation bis zum Ende fortsetzen. Die wichtigsten Teile hast du noch nicht gesehen.«
Wieder verschwand der Gerichtssaal, und Haissem führte uns zurück in die Zeit des Krieges, als Toby Soldat gewesen war.
Um nicht wegen des Diebstahls von medizinischem Bedarf vors Kriegsgericht gestellt zu werden, musste Toby das Versorgungslager verlassen und sich »freiwillig« für eine Kampfeinheit an der Front melden. Von ursprünglich acht Männern, die dieser Einheit zugeordnet waren, wurden alle bis auf Toby erschossen oder ertranken auf dem Vormarsch der Alliierten Richtung Berlin in der Elbe. Toby wurde ins Bein getroffen, während er seinen sterbenden Sergeant das Ufer hinaufschleppte. Blutend und benommen brachte er sich humpelnd in Sicherheit und brach vor einer Hütte im Wald vor der kleinen Stadt Kamenz zusammen.
Am nächsten Tag wachte Toby in der Hütte auf. Geschwächt vom Blutverlust und einer Infektion, war er von der Familie umgeben, die in dieser Hütte lebte: Vater, Mutter, jugendliche Tochter und zwei jüngere Söhne. Sie verbanden seine Wunden und gaben ihm zu essen und Wasser, woraufhin er weitere vierundzwanzig Stunden schlief, bis er wieder
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