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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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»Daddy, was ist mit deinem rechten Arm passiert?«, fragt sie. »Hast du das getan, weil du auf deine Mami und deinen Papi böse warst?«
    »Klar, ich mal mit dir, Schatz«, sage ich. Ich fühle mich elend, weil ich herumgeschrien habe und jetzt alle sauer auf mich sind. »Komm, kletter auf meinen Schoß.«
    »Brek, hörst du mich?«
    »Luas?«
    »Ah, da bist du ja«, sagt er. »Endlich bin ich zu dir durchgedrungen. Ich dachte, du wärst uns abhandengekommen.«
    Meine Persönlichkeit teilt sich in zwei Hälften. Die eine Hälfte führt ein Gespräch mit Toby Bowles’ Tochter, während sich die andere Hälfte mit Luas unterhält. Ich existiere gleichzeitig in zwei Welten und zwei Leben.
    »Das ist ein Kreis, Katie. Kannst du schon Kreis sagen?« Mit ihren großen braunen Augen, mit denen sie zu mir aufblickt, und ihren rosa Wangen durchbricht sie meinen Panzer.
    »Chreis.«
    »Konzentriere dich auf deine Erinnerungen«, ermahnt mich Luas. »Denk an Bo, Sarah, deine Arbeit.«
    Ich denke an Sarah und ihre Buntstifte. Sie ist nicht viel jünger als Katie. Ich denke an Bo, der mich nie so angeschrien hat, wie Toby es mit Claire tat, und ich denke an meine Eltern. Der Abstand zwischen den beiden Ichs wächst, bis wieder zwei getrennte Leben erscheinen: meins, das von Tiefe, Substanz und Nuancen geprägt ist, und das von Toby Bowles, das ich gut, aber nur episodenhaft kenne. Ich habe seine Gefühle und sehe durch seine Augen, doch endlich verstehe ich, dass er nicht ich ist, auch wenn er jemand ist, den ich näher und vollständiger erfahren habe als je einen anderen Menschen zuvor.
    »Also«, beginnt Luas, »was hältst du von unserem Mr Bowles?«
    Ich höre Luas, sehe ihn aber nicht. Ich sehe nur das Wohnzimmer der Bowles. Es ist, als würden Luas und ich uns in der Pressekabine eines Stadions über eine Sportveranstaltung unterhalten, die im Fernsehen übertragen wird, obwohl wir vom Spielfeld rundum wie von einer riesigen Kinoleinwand umgeben sind. Wir stehen mitten im Geschehen, haben mit diesem aber nichts zu tun. Dennoch kennen wir die Gedanken der Spieler.
    »Ich mag nicht …« Ich fange mich wieder. »Ich dachte, wir dürfen kein Urteil über andere Seelen abgeben.«
    »Gut beobachtet«, lobt mich Luas. »Aber ein bisschen zu weit gedacht. Wir dürfen keine Urteile abgeben, wenn du so willst, aber sehr wohl beobachten. Ein Anwalt mag das, was sein Mandant tut, ablehnen, dennoch bleibt er Verfechter für dessen Rechte. War das nicht auch bei deinem Mandanten Alan Fleming so? Du warst nicht damit einverstanden, dass er das Bankdarlehen nicht zurückbezahlen musste, und dennoch hast du ihn verteidigt.«
    Jetzt bin ich in der Lage, die Präsentation von Toby Bowles’ Seele anzusehen, ohne sein Leben mit meinem zu vermischen. Obwohl ich mich nicht mehr in seinem Körper befinde, kenne ich irgendwie seine Gedanken und Gefühle, als wäre ich Gott, der in Bowles’ Geist schaut.
    Tobys Freund Bob hält vor dem Haus und hupt. Toby nimmt Katie in den Arm und gibt ihr einen Kuss. Er verabschiedet sich nicht gerne, und diesmal noch weniger, weil er sich so schlecht benommen hat. Claire, Susan und Todd nähern sich vorsichtig. Wie gerne würde Toby alles rückgängig machen, doch eine Entschuldigung wäre nichtssagend, würde unverstanden bleiben. Vorsichtig gibt er Claire einen Kuss, den sie mit einer festen Umarmung erwidert. Damit spricht sie ihn zwar von seinem Verbrechen frei, verletzt ihn aber gleichzeitig mit ihrer großzügigen Vergebung.
    »Ich bringe euch was Hübsches mit«, flüstert er reuevoll, immer noch überzeugt, materieller Besitz wäre das, was sie von ihm erwarten. Todd und Susan umarmen ihn, doch Tad bleibt in der Küche und spielt mit seinem Jo-Jo. Er ist nicht bereit, seinem Vater zu verzeihen, und murmelt nur ein Tschüs, nachdem ihm seine Mutter befohlen hat, etwas zu sagen. Toby weiß nicht mehr, was er mit Tad machen soll. »Ich bringe ihm was ganz Besonderes mit«, murmelt er zu sich selbst. »Vielleicht die Spielzeugpistole mit Halfter, die er sich wünscht.« Toby weiß, er ist hart mit Tad umgesprungen, doch das tut er nur zu dessen Bestem. Tobys Vater war genau so, bevor er die Familie verlassen hat, als Toby elf war. Zumindest das hat Toby nicht getan. Wieder ertönt draußen die Hupe. Bob wartet. Toby winkt, schnappt sich seine Sachen und geht zur Tür hinaus.
    »Haissem lässt das alles wieder aufleben?«, frage ich.
    »Ja«, antwortet Luas. »Bemerkenswert, nicht wahr?«
    Neun Jahre

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