Was dein Herz dir sagt
schlenderte, so unbekümmert er konnte, hinter ihr her.
9
Michael rang mit sich, ob er Geoffrey in ihren Verdacht bezüglich Ferdinands einweihen sollte. Er verbrachte eine rastlose Nacht, allerdings zugegebenermaßen nicht allein wegen dieser Sache. Dann traf während des Frühstücks eine Nachricht von Geoffrey ein, in der er ihn bat, mit der Familie am heutigen Abend das Abendessen einzunehmen.
Die Einladung war eindeutig ein Wink des Himmels. Er ritt nach Bramshaw House, als die Sonne gerade hinter den Bäumen versank und der Tag in einen milden Abend überging. Außerdem hatte er gesehen, als er und Caro auf die Lichtung zurückkehrten, wie Ferdinand gerade Edward befragte. Er wollte erfahren, woran Leponte interessiert gewesen war; er war sicher, dass Caro sich bei Edward erkundigt hatte.
Bei seinem Eintreffen auf Bramshaw House ritt er direkt zu den Stallungen. Er ließ Atlas dort und ging zum Haus, fand Geoffrey in seinem Arbeitszimmer.
Oben saß Caro vor ihrem Frisiertisch und zupfte müßig an ihren Haaren. Sie war fürs Dinner angekleidet und frisiert, nicht dass heute Abend besonders auf ihre Erscheinung geachtet werden würde - die Familie würde beim Essen unter sich sein. Ihr Kleid aus blassblauer Seide war eines ihrer Lieblingskleider; sie hatte es angelegt, weil es sie beruhigte, beschwichtigte und ihr Sicherheit gab.
Denn die letzten vierundzwanzig Stunden war sie ... abgelenkt gewesen.
Michael hatte sie überrascht. Zunächst damit, dass er sie wirklich hatte küssen wollen - wieder und wieder. Dann dadurch, dass er mehr wollte. Und darüber hinaus glaubte sie fast, dass er dann noch mehr wollen würde, ja vielleicht sogar danach wirklich verlangte.
Verlangen war ja eine Art Hunger, oder? Die Vorstellung, dass es das war, was sie in ihm wahrnahm, das sie sprudeln und wachsen spürte, während sie heiße Küsse austauschten, war zu verblüffend und zu erhellend, um es zu ignorieren.
Konnte es so sein? Wollte - begehrte - er sie wirklich auf diese Art und Weise?
Ein Teil von ihr tat die Idee als Ausgeburt einer überreizten Phantasie ab; der verletzlichere Teil von ihr wünschte sich verzweifelt, dass es stimmte. Sich überhaupt in der Lage zu befinden, diese Frage ernsthaft zu erwägen, war an und für sich schon eine neue Entwicklung für sie.
Eines war dagegen klar. Nach ihrem Intermezzo am Teich fand sie sich vor die Entscheidung gestellt: weiterzumachen oder aufzuhören, ja zu sagen oder nein. Wenn er mehr wollte, sollte sie dann, würde sie dann zustimmen?
Diese Entscheidung hätte dem achtundzwanzigjährigen verwitweten Überbleibsel einer politischen Ehe mit einem wesentlich älteren Mann nicht schwerfallen dürfen. Unseligerweise gab es in ihrem Fall noch Komplikationen, Umstände, die alles eindeutig schwieriger machten, aber zum ersten Mal in ihrem Leben war sie nicht überzeugt davon, dass sie die Gelegenheit einfach ausschlagen sollte, die Michael ihr vielleicht bot.
Diese Unsicherheit hatte sie zuvor noch nicht erlebt. Das hatte sie den ganzen Tag über beschäftigt.
Die letzten zehn Jahre lang hatten ihr Herren immer wieder Affären vorgeschlagen - seit ihrer Heirat, genau genommen -, doch dies hier war das erste Mal, dass sie sich ernsthaft in Versuchung geführt fühlte. All die anderen ... sie war nie davon überzeugt gewesen, dass ihr Verlangen echt war, ebenso wenig wie das von Camden, dass sie viel mehr andere Motive antrieben, wie Langeweile oder die Lust an der Jagd, oder gar politische Erwägungen. Keiner von ihnen allen hatte sie wirklich geküsst, nicht so, wie Michael es getan hatte.
Wenn sie zurückdachte ... an keinem Punkt hatte Michael sie um Erlaubnis gebeten. Wenn sie ihn richtig verstanden hatte, würde er ihr Schweigen als Zustimmung werten, wenn sie nicht ausdrücklich »nein« sagte. Dieses Vorgehen war für sie beide in Ordnung. Trotz ihrer Vorbehalte hatte er nichts getan, sie zu nichts verleitet, was sie im Nachhinein bereute. Ganz im Gegenteil. Was sie getan hatten, brachte sie dazu, daran zu denken, eine ganze Menge mehr zu tun.
Wie weit würde er gehen, ehe er das Interesse verlor? Sie hatte keine Ahnung, doch wenn er sie wirklich wollte, sie begehrte ... war sie es sich nicht selbst schuldig, das herauszufinden?
Der Gong erklang, hallte durchs Haus und rief die Bewohner in den Empfangssalon. Mit einem letzten Blick auf ihre im Moment einigermaßen ordentliche Frisur erhob sie sich und ging zur Tür. Sie würde ihre Überlegungen später
Weitere Kostenlose Bücher