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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Park
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Fingern über die Trauben in ihren Rankgittern und streichelte die Seidenraupen in den Maulbeerbäumen. Soo-Ja malte imaginäre Ringe um die allgegenwärtigen Berge in der Ferne und stellte sich vor, sie wäre in Schottland, worüber sie schon so viel gelesen hatte. Und immer, wenn der Monsun kam, der manchmal tagelang nicht aufhörte und regelrechte Teiche in die Erde spülte, tollten Soo-Ja und ihre Brüder draußen herum und spritzten sich gegenseitig Wasser ins Gesicht.
    Wenn sie Daegu jemals verließe, würde sie den lavendelfarbenen Himmel und die pfirsichfarbenen Sonnenuntergänge vermissen, ebenso die frischen Bohnenkuchen, direkt aus dem Holzofen der Bäckerei, die Samstagnachmittage mit ihrer Mutter im Badehaus, wo die Wärme genauso beruhigend war wie der Klang des Tratsches, der dort in der Luft hing – und natürlich die Unschuld der Kindheit, noch immer frei von Geheimnissen, Liebhabern und Ambitionen.
    Doch es ist sinnlos, bleiben zu wollen . Und solche Briefe verstärkten nur Soo-Jas Wunsch fortzugehen. Sie betete für Mins sichere und baldige Rückkehr, damit er ihr helfen konnte. Und bis es so weit war, musste sie dafür sorgen, dass ihr Vater nichts von der Sache erfuhr.
    Soo-Ja legte den Brief zur Seite. Es gab nur wenige Orte, an denen sie ihn verstecken konnte, denn ihr Zimmer war leer bis auf den großen Nong -Kleiderschrank, in dem sie ihre Bettdecken und Kleider aufbewahrte. Sie beschloss, in die Küche zu gehen, wo ihre Mutter leere Kimchi-Tongefäße lagerte. Doch als sie einige davon öffnete, bemerkte sie, dass sie schon gefüllt waren – mit Geld. Das war so üblich in ihrer Familie. Der Vater gab der Mutter jede Woche viel Haushaltsgeld, und da sie oft nicht wusste, wofür sie es ausgeben sollte, legte sie es in die Tongefäße, wo die alten Hwan-Scheine den Geruch der Gewürze annahmen.
    Frustriert ging Soo-Ja zurück in ihr Zimmer und machte sich fürs Bett fertig. Sie spielte kurz mit dem Gedanken, den Brief einfach in ihrem Schmuckkästchen aufzubewahren – einer kleinen Schatztruhe, die mit Perlmutt ausgeschlagen war – , aber das schien ihr nicht sicher genug. Als sie ihr wollenes Hemd zusammenfaltete, entschied sie sich, den Brief darin zu verstecken, fein säuberlich im Ärmel. Bis Dienstag, wenn die Dienstboten die Wäsche machten, musste sie allerdings einen anderen Platz gefunden haben. Aber fürs Erste gefiel ihr diese Lösung: mitten in den Kleidern, in denen ihr Körper den ganzen Tag über gesteckt hatte.
    Soo-Jas Vater wirkte verärgert, als er sie in sein Zimmer rief. Er saß im Schneidersitz auf dem Fußboden und schaute sie böse an. Doch er sprach nicht sofort, und so starrte sie auf die Leinwände hinter ihm – vier große Tintenzeichnungen, eine für jedes mythische Geschöpf: ein blauer Drache, ein weißer Tiger, ein roter Phönix und eine schwarze Schildkröte. Sie stellte sich vor, ihr Vater wäre der Drache und sie selbst der Tiger. Sie hätte gern gewusst, wer am Ende wohl triumphieren würde.
    »Dieses Mal bist du zu weit gegangen«, sagte er.
    »Was habe ich denn jetzt schon wieder verbrochen?«, fragte Soo-Ja und verdrehte die Augen.
    Der Vater griff nach einem Stapel Briefe und warf sie auf das Schreibpult, das vor ihm stand. Verblüfft öffnete Soo-Ja den Mund. Wie hatte er die bloß gefunden?
    »Ist das derselbe junge Mann, der damals vor unserer Tür stand?«
    »Wann, damals?«, fragte sie unschuldig. Sie wich seinem Blick aus und schaute stattdessen auf das Bild des weißen Tigers, der das Maul zum Brüllen geöffnet und eine Pfote vor die andere gesetzt hatte, bereit zum Angriff und nur von seiner Selbstbeherrschung zurückgehalten.
    »Du musst dafür sorgen, dass er herkommt und sich vorstellt, damit ich ihm erklären kann, wie ungeeignet er für dich ist.«
    »Er ist nicht in Daegu. Er ist in Seoul. Du hättest meine Briefe nicht lesen … «
    »Das habe ich nicht. Und was macht er in Seoul? Hat er die Universität denn noch nicht abgeschlossen? Ist er jünger als du? Für dich kommt niemand infrage, der nicht mindestens ein Jahr älter ist als du.«
    »Er ist wegen etwas anderem in Seoul. Appa , mach doch bitte keinen Skandal daraus. Er ist ja bloß ein Bekannter von mir.«
    Der Vater sah sie missbilligend an. »Ist er Mitglied einer Studentengruppe? Einer von diesen Rumtreibern, die in Fremdenheimen wohnen, keine Arbeit haben und ihre Zeit damit verschwenden, mit der Polizei zu kämpfen? Einer von den Dummköpfen, die ihr Leben für die

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