Was dein Herz nicht weiß
ihren übervollen Teller auf den Knien balancierte.
»Ja, er hat mich tatsächlich hergeholt«, erwiderte Soo-Ja und ließ sich die Ironie auf der Zunge zergehen.
»Aber er hat sich ja schon immer um Sie gekümmert. Er hatte Ihnen eine Firma in Seoul anvertraut, nicht wahr?«
»Also das erzählt er hier herum.«
»Und wie ich gehört habe, hat er Ihnen auch ein Haus geschenkt.« Die Frau lächelte breit und entblößte ihre Goldzähne. Soo-Ja fragte sich, ob das eine Variation des Spiels war, das junge Frauen gerne spielten, indem sie ihren diamantenen Verlobungsring aufblitzen ließen.
»Ja«, sagte Soo-Ja, erschüttert über die groben Verzerrungen des Schwiegervaters. »Er hat ein goldenes Herz.«
»Und wie gefällt es Ihnen in Amerika?«, fragte die Frau und wedelte mit den Händen durch die Luft, als wäre sie eine Zauberin, die das Land gerade für Soo-Ja erschaffen hatte.
»Es ist sehr groß«, sagte Soo-Ja.
»Ich habe gehört, Sie sind gerade erst angekommen. Sie können sich sehr glücklich schätzen.«
»Ach ja?«
»Ja. In Korea ist es doch hoffnungslos. Nach dem Krieg hätten alle einfach auswandern und die Ruinen sich selbst überlassen sollen.« Soo-Ja betrachtete die Frau in ihrer westlichen Kleidung mit dem Logo auf der Brusttasche: Pierre Cardin. »In Korea ist alles schlecht. Denken Sie nur an die Umweltverschmutzung und die ungehobelten Manieren. In der Zeitung hier stand neulich ein Leserbrief über die Koreaner: dass sie nie lächeln, sich nicht entschuldigen, wenn sie einen anrempeln, und ihre Geschäftspartner über den Tisch ziehen. Und ich bin der Meinung, das stimmt.«
Soo-Ja hörte sich an, was die Frau sagte und wollte zuerst darüber hinwegsehen. Aber sie konnte nicht. Sie blickte ihr direkt in die Augen und begann zu sprechen. Obwohl sie nicht wusste , wo ihre Worte herkamen, spürte sie sie tief in ihrem Inne ren. »Haben Sie eigentlich gewusst, dass Korea das erste Land Asiens war, das ein stehendes Heer hatte? Und dass es trotz der jahrzehntelangen Zeit als Kolonie Kunst und Literatur von Weltrang hervorgebracht hat? Dass dort die herrlichsten Tuschezeichnungen geschaffen werden? Wenn ich die wunderbaren, jahrhundertealten Tempel von Naksansa oder Shinhungsa besuche oder am Namdaemun vorbeifahre, bin ich stolz, einem Land der Gelehrten und Künstler zu entstammen.« Die Frau rutschte verlegen auf ihrem Stuhl herum. Aber Soo-Ja war noch nicht fertig. »Wenn ich eine Frau im bunten Hanbok sehe, die den Pansori singt und tanzt, dann hüpft mein Herz vor Freude. Das liebe ich nämlich daran, Koreanerin zu sein: Als wir von den fremden Völkern angegriffen wurden, als sie uns unsere Namen, unsere Sprache und unser Handwerk wegnahmen, da sah es vielleicht so aus, als würden wir uns den Besatzern anpassen, aber tief im Inneren haben wir unsere Würde nie aufgegeben. Und darum werden wir am Ende triumphieren. Und selbst eine Frau wie Sie wird eines Tages stolz auf ihre koreanische Herkunft sein.«
Soo-Ja wanderte ganz allein durch das helle, geräumige Haus; durch die Fenster und die Glasschiebetür drangen die Geräusche der Party zu ihr hinein. Sie betrachtete die hohe, abgeschrägte Decke und das Sonnenlicht, das gegen die Wände schien und warme Oasen im Raum schuf. Ein solch großes Wohnzimmer mit so vielen Möbeln hatte sie bei ihren Schwiegereltern nicht erwartet.
Soo-Ja setzte sich auf eine L-förmige rosafarbene Couch und sank sofort tief in die Polster ein, die sich ihrem Körper anzupassen schienen. Sie blickte sich um und entdeckte einen Farbfernseher mit Zimmerantenne und vielen Knöpfen sowie eine Münzsammlung. Anhand der Gegenstände im Zimmer konnte sie auf die aktuellen und ehemaligen Hobbys der Bewohner schließen: Golfbälle, ein Badmintonschläger, etwas Angelschnur. Auf den Bücherregalen standen ein dicker englischsprachiger Weltalmanach, ein Stapel Life -Magazine und ein Koreanisch-Englisch-Wörterbuch.
Soo-Ja war nur wenige Minuten allein, bis sie bemerkte, dass jemand ins Zimmer gekommen war. Es war Min, der jetzt neben dem Holzgeländer der Treppe stand.
»Ich bin froh, dass du keinen Streit angefangen hast vor all den Leuten«, sagte er.
»Ist das mein Stichwort? Ich bin eine tickende Zeitbombe.«
»Ich werde mich trotzdem nicht entschuldigen«, sagte Min und setzte sich Soo-Ja gegenüber. »Ich habe das gemacht, was für Hana am besten ist.«
»Du hast noch nie danach gehandelt, was für Hana am besten ist.«
Min beugte sich vor, die Finger
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