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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Park
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wegtragen konnten, wie die Türen, hatten sie mit Schraubenziehern zerkleinert und in Einzelteilen mitgenommen. Das Einzige, was sie dagelassen hatten, waren die Böden und die Decke.
    Also sind wir am nächsten Tag zum Markt gegangen, um neue Kleider und Möbel zu kaufen. Bald bemerkten wir, dass irgendetwas an den Waren nicht stimmte. Ich erkannte eine Decke wieder, unter der ich immer geschlafen hatte. Sie war oben gelb und hatte patchworkartige, verschiedenfarbige Flecken. Außerdem sah ich einen Kleiderschrank, der bei meinem Bruder im Zimmer gestanden hatte. Und einen silbernen Dolch, der neben dem Spiegel im Zimmer meiner Mutter gehangen hatte. Sie verkauften unsere Sachen! Meine Schulbücher, von der vierten bis zur achten Klasse, und das Besteck, mit dem wir abends gegessen hatten.
    Ich sah meinen Vater an. Er lächelte und sagte zu mir: ›Jetzt wissen wir also, wie viel unsere Sachen wirklich wert sind.‹ Dann gab er mir und meinen Brüdern Geld, um alles zurückzukaufen. Meine Mutter wollte die Polizei rufen und die Händler verhaften lassen, aber mein Vater schüttelte nur den Kopf und sagte: ›Diese Leute müssen sich auch irgendwie ihren Lebensunterhalt verdienen.‹ Das werde ich nie vergessen. Ich weiß noch genau, wie ich von Händler zu Händler gegangen bin und mir meine alten Kleider und meinen Schmuck zurückgekauft habe, und jedes Mal war ich erstaunt und froh darüber, dass ich meine alten Sachen wieder in Empfang nehmen konnte. Ich war so dankbar, am Leben und in Sicherheit zu sein und mein Eigentum wiederzuhaben.«
    Soo-Ja lächelte, als sie daran zurückdachte. Dann fragte sie sich, warum sie diesem Fremden so sehr vertraute. Vielleicht, weil er so sachlich und unabhängig wirkte – und nichts von ihr wollte. Und außerdem ließ er sie reden und unterbrach sie nicht.
    »Also darum willst du Diplomatin werden. Glaubst du, mit Diplomatie allein kann man Kriege verhindern?«, wollte Yul von ihr wissen.
    Inzwischen holperte der Bus über Schlaglöcher und Steine. Als Soo-Ja nach vorne fiel, packte Yul ihren Arm, um sie festzuhalten. Sein Griff elektrisierte sie. Er nahm ihre Hand und legte sie auf die Haltestange direkt vor ihnen. Soo-Ja schluckte verlegen, aber als sie sich wieder hinsetzte, schmiegte sie sich an ihn, sodass sie Schulter an Schulter saßen.
    »Findest du mich naiv?«, fragte Soo-Ja und nahm den Gesprächsfaden wieder auf.
    »Vielleicht.«
    »Na schön, dann bin ich eben naiv. Aber ich würde gerne etwas bewirken. Damit ändert sich vielleicht nicht viel, aber es könnte immerhin ein Anfang sein. Ich meine, du musst doch auch daran geglaubt haben, als du dich für die Sache entschieden hast – also dafür, das zu werden, was du bist.«
    Yul gab keine Antwort, sondern musterte sie gedankenverloren. Soo-Ja kam sich ein bisschen dumm vor, sich ihm gegenüber so weit geöffnet zu haben. Wie hatte er all das nur aus ihr herausbekommen? Er gab ihr das Gefühl, ein Freund zu sein, der sie weder verurteilte noch kritisierte.
    Yul war älter als sie – bestimmt hatte er im Krieg gekämpft. Da konnte er höchstens fünfzehn oder sechzehn gewesen sein. Wie hatte er bloß überlebt, wenn doch wesentlich ältere und erfahrenere Männer gefallen waren? Er hatte etwas Rätselhaftes an sich, das Soo-ja reizte, sich Geschichten über ihn auszudenken. Sein gelassenes Lächeln war wie ein Schloss, das sie knacken wollte. Solche Gefühle hatte sie bei Min noch nie gehabt – er hatte ihr Herz mit Komplimenten erobert und sie dann mit Hartnäckigkeit mürbe gemacht. Mit Yul war es anders: Sie wollte ihm Komplimente machen.
    »Ich glaube, wir sind da«, sagte Yul, als der Bus langsamer wurde. Seine Miene verdüsterte sich, und Soo-Ja wusste wieder, warum sie überhaupt im Bus saß. Wegen des verschwundenen zwölfjährigen Jungen. »Warte, bis ich in der Mitte des Busses bin, dann steh auf und steig aus. Wenn du siehst, dass ich schnell renne, lauf mir nicht nach, sondern geh in Deckung.« Yul erhob sich, und Soo-Ja spannte unwillkürlich die Muskeln an. Sie bemerkte, dass er die kräftige Figur eines Soldaten und die vorsichtige Körpersprache eines Kriegsveteranen hatte. Mit Sicherheit war er in der Armee gewesen, entweder auf eigenen Wunsch oder unfreiwillig eingezogen. Der Bus kam zum Stehen, und Yul schickte sich an, auszusteigen. Für Soo-Ja fühlte sich dieser Moment an wie eine Ewigkeit. Als Yul die Mitte des Busses erreicht hatte, schien die Luft rein, darum drehte er leicht den Kopf

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