Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
gerade spülte. Er schob ihr Haar zur Seite und küsste sie auf den Nacken.
»Ich bin verrückt nach dir«, flüsterte er.
Francesca schloss die Augen und atmete tief durch, wie benommen von der zärtlichen Berührung, glücklich über das Geständnis. Ihr Körper, der schier überfloss vor bislang ungekannten Empfindungen, zwang sie, sich umzudrehen. Aldo zog sie an sich und küsste sie auf den Mund.
»Francesca, Liebling … Sag mir, dass du mich liebst«, bat er sie und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals.
»Ja. Ja, ich liebe dich«, beteuerte sie, dann spürte sie erneut seine leidenschaftlichen Lippen auf den ihren.
***
Aldo brachte die fadenscheinigsten Ausreden vor, um den größten Teil des Tages abwesend zu sein. Abends schützte er Müdigkeit vor, um zu Bett gehen zu können, doch die Unruhe in seiner Stimme und in seinem ganzen Verhalten passte so gar nicht zu seiner angeblichen Erschöpfung.
Dolores vermutete, dass es eine andere gab. Aber wer sollte das sein, hier mitten auf dem Land? Die Tochter eines Landarbeiters vielleicht. In diesem Fall bräuchte sie sich keine Sorgen zu machen; er würde sie bald verlassen und zu ihr zurückkehren. Dennoch nagte der Verdacht an ihr, und sie vergoss nachts bittere Tränen. Schließlich hatte sie ihre Prinzipien und Überzeugungen beiseitegeschoben und sich ihm hingegeben, um auch seine niedersten Instinkte zu befriedigen. Warum suchte er bei einer anderen, was sie ihm schon gegeben hatte?
Während der Mittagsruhe sattelte Francesca Rex und wartete ein Stück hinter den Ställen auf Aldo. Gemeinsam – er saß auf seinem Fuchs – ritten sie zu traumhaften Plätzen, an denen sie in den Sommern zuvor nicht gewesen war. Die Nachmittage vergingen viel zu schnell, und in Erwartung der Nacht am Pool trennten sie sich nur widerstrebend, unter leidenschaftlichen Küssen und innigen Liebesschwüren.
Aldo hielt zum ersten Mal im Leben das Glück in den Händen. Vergessen waren die Jahre, in denen er unglücklich gewesen war, ohne es zu wissen. Die Gefühlskälte seiner Mutter, die Gleichgültigkeit seines Vaters, die Schulzeit am La Salle und die Heimatlosigkeit in Paris, das alles zählte nicht mehr. Jetzt gab es Francesca, die so wirklich war wie das Unglück, das er so lange mit sich herumgeschleppt hatte, ohne sich dessen bewusst zu sein. Nun hatte er die Aussicht, glücklich zu werden, das Leben hatte sich gnädig gezeigt und ihm noch eine Chance gegeben.
Francesca hingegen fragte sich, wie sie den Martínez Olazábals gegenübertreten sollte, wenn sie nicht einmal den Mut aufbrachte, ihrer Mutter oder Sofía davon zu erzählen. »Sie werden mich nie akzeptieren«, dachte sie mutlos, Aldos Begeisterung zum Trotz. Für Señora Celia würde sie immer die Tochter der Köchin bleiben. Da zählte nicht, dass sie eine ebenso gute Ausbildung hatte wie Sofía und Enriqueta, kulturell gebildet war, weil sie seit Jahren unermüdlich las, und sich zu benehmen wusste – alles, was sie sehr wohl zu schätzen wüssten, wenn ihre Herkunft eine andere wäre. Und Aldo? Was dachte er? Er schwor ihr tausendmal, dass er sie über alles liebe und nur sie für ihn zähle, aber vernünftig, wie sie war, blieben ihr Zweifel, insbesondere wegen der unübersehbaren Gegenwart der offiziellen Verlobten Dolores Sánchez Azúa. Aldo sprach nie von ihr, und Francesca hätte sich eher die Zunge abgebissen, als ihn nach ihr zu fragen. Sie vermutete zwar, dass er sie nicht liebte – zumindest nicht so wie sie –, aber sie fürchtete sich vor der Erkenntnis, dass am Ende Dolores die Señora Martínez Olazábal sein würde und sie selbst die weggeworfene Geliebte in dieser Geschichte.
***
An diesem Abend war Enriqueta noch aufgewühlter als sonst. Wieder einmal hatte sie eine höchst unerfreuliche Diskussion mit ihrer Mutter gehabt. Sie war im dunklen Salon geblieben, wo sie auf dem Sofa lag und sich ein Glas Whisky nach dem anderen eingoss.
Etwas lief schief, sie spürte es. Das Leben erschien ihr wie eine bleierne Last. Sie sah keinen Sinn darin. Was bewegte die Leute dazu, morgens aufzustehen? Eine Zeitlang hatte sie sich für die Idee begeistert, Kunst zu studieren. Aber ihre Mutter hatte das stets abgelehnt, ungerührt von ihrem hartnäckigen Bitten und ihren Wutanfällen, die Enriquetas letztes Mittel waren, wenn sie gar nicht mehr weiterkam. Sie trug sich mit dem Gedanken, von zu Hause wegzulaufen, ließ es dann aber bleiben, weil sie nicht den Mut dazu aufbrachte. Sie
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