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Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)

Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)

Titel: Was deine Augen sagen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florencia Bonelli
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resignierte und fügte sich lieber in ihr Schicksal, statt ganz allein in einer Welt zu stehen, die sie nicht kannte und auf die niemand sie vorbereitet hatte.
    Sie beneidete Francesca um ihre Freiheit und um ihren Mut. Von klein auf hatte sie alle mit ihrer ungezwungenen, aufgeweckten Art für sich eingenommen. Esteban Martínez Olazábal schenkte ihr sogar mehr Aufmerksamkeit als seinen eigenen Kindern, die Privatlehrerin, Miss Duffy, gab ihr Englischunterricht und nahm sie in Schutz, wenn sie etwas ausgefressen hatte, und Sofía empfand eine Zuneigung zu ihr, die auch mit den Jahren nicht nachgelassen hatte. Und dann war da noch Alfredo Visconti, der berühmte Onkel Fredo, in den Enriqueta heimlich verliebt war, seit sie ein junges Mädchen war. Ihre Abneigung gegen die Tochter der Köchin war nichts, worauf sie stolz war, denn man musste sich nichts vormachen: Sie wäre gerne so gewesen wie Francesca. Doch leider war sie das genaue Gegenteil von ihr.
    Während sie weiter ihren Gedanken nachhing, schenkte sie sich immer wieder Whisky nach, der allmählich ihre Sinne vernebelte. Durch ein Fenster fiel Licht von der Veranda auf das Hochzeitsfoto ihrer Eltern. Stocksteif und ernst standen sie nebeneinander, ohne sich zu berühren. Sie wirkten wie entfernte Bekannte. Enriqueta lächelte gequält.
    Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Sie stellte die Flasche beiseite und richtete sich mühsam auf. Aldo? Was wollte er um diese Uhrzeit im Salon? Und was hielt er da in der Hand? Ein Badetuch? Sie blieb still sitzen – es war eine unangenehme Vorstellung, von ihrem Bruder beim Trinken erwischt zu werden. Die Familie wusste zwar um ihr Laster, aber niemand sprach darüber.
    Aldo öffnete leise die Verandatür und trat nach draußen. Was wollte er im Garten? Er war doch vorhin erst von einem Spaziergang mit Dolores gekommen. Das Ganze kam ihr merkwürdig vor, und sie beschloss, ihm zu folgen. Als sie aufstand, merkte sie, dass der Alkohol zu wirken begonnen hatte, aber sie konnte sich noch auf den Beinen halten. Von der Veranda aus sah sie, wie ihr Bruder zwischen den Büschen in Richtung Schwimmbad verschwand. Warum ging er mitten in der Nacht zum Pool? Er war nie gerne geschwommen, nicht mal als Kind, sondern war lieber auf seinem Zimmer geblieben und hatte gelesen.
    Enriqueta ging durch den Park zu der Treppe, die zum Pool führte. Als sie die letzte Stufe erreichte, musste sie sich am Geländer festhalten, so erschüttert war sie von dem, was sie sah: Aldo stand dort, engumschlungen mit Francesca, die er küsste und die den Kuss ebenso leidenschaftlich erwiderte. Der Whisky schien ihr die Sinne vernebelt zu haben. Sie halluzinierte, eine andere Erklärung gab es nicht. Sie rieb sich die Augen, aber die Szene war weiterhin klar und deutlich zu sehen. Francescas aufreizendes Lachen dröhnte ihr in den Ohren, und Aldos entflammter Blick passte so gar nicht zu dem Bild des scheuen und schweigsamen Jungen, das sie seit jeher von ihm hatte. Der letzte Martínez Olazábal war dem Zauber von Francesca de Gecco verfallen, der Tochter der Köchin!
    Im ersten Moment war sie versucht, sich bemerkbar zu machen, doch dann kam ihr der boshafte Gedanke, die Angelegenheit in die Hände ihrer Mutter zu legen. Und so hielt sie den Mund und ging leise zum Haus zurück.
    ***
    Als sie die tiefen Atemzüge ihrer Mutter hörte, verließ sie der Mut, und sie überlegte, sie lieber doch nicht zu wecken. Aber dann gab sie sich einen Ruck und rief nach ihr.
    »Was ist los, Enriqueta?« Celias Stimme klang ungehalten, und das Mädchen trat einen Schritt zurück. »Du riechst nach Alkohol! Du bist ja betrunken! Geh!«
    Enriquetas Blick verschwamm, aber sie wäre lieber gestorben, als vor ihrer Mutter zu weinen. Das hatte Celia ihr schon als Kind nicht gestattet, und erst recht nicht jetzt mit ihren vierundzwanzig Jahren.
    »Ich muss Ihnen etwas Wichtiges sagen«, erklärte sie, und die Sicherheit ihrer eigenen Stimme machte ihr Mut. »Sie werden es nicht bereuen, mich anzuhören.«
    »Hat das nicht Zeit bis morgen? Es ist halb fünf in der Nacht!«, murrte Celia mit einem Blick auf den Wecker.
    »Es ist sehr wichtig«, betonte Enriqueta. Ihr verschwörerischer Ton weckte Celias Neugier.
    »Dann erzähl endlich und lass mich weiterschlafen.«
    Enriqueta schilderte haarklein, wie sie Aldo und Francesca am Pool beobachtet hatte. Bei einigen Details blickte sie mit gespielter Verlegenheit zu Boden und tat, als ob ihre Stimme versagte. Ihre Mutter

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