Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
drängte sie mit krankhafter Neugier, doch weiterzuerzählen.
»Und was machen wir jetzt, Mama?«, fragte sie, als sie mit ihrem Bericht zu Ende war.
»Du machst gar nichts«, stellte Celia klar. »Geh ins Bad und wasch dich, um diesen Whiskygestank loszuwerden, dann leg dich hin und schlaf ein bisschen. Du siehst aus wie ein Gespenst.«
»Aber Mama …«
»Und besser, du hältst den Mund über diese Angelegenheit. Wenn irgendjemand davon erfährt, bekommst du’s mit mir zu tun.«
Mit weinerlich verzerrtem Gesicht schlich Enriqueta aus dem Zimmer ihrer Mutter. Sie hatte auf ein freundliches Wort, ein Danke gehofft, und Celias Verachtung hatte sie tief verletzt. Als sie in ihrem Zimmer war, begann sie zu schluchzen.
Celia ließ Enriquetas Kummer kalt. Sie dachte über das nach, was sie soeben erfahren hatte. Ihre Pläne waren in Gefahr, und die hatten einen Namen: Dolores. Wenn Aldo ein Frauenheld gewesen wäre, hätte er gewusst, dass sein Interesse für die Tochter der Köchin bald erkalten würde. Aber da sie die sensible Art ihres Ältesten kannte, hielt sie es durchaus für möglich, dass er sich in so ein dahergelaufenes Ding verlieben und vergessen würde, was er seinem Namen schuldig war.
»Dieser dummer Junge! Geht wie ein Idiot diesem Miststück in die Fänge.«
Blinde Wut übermannte sie. Sie hätte Francesca am liebsten geschlagen, wenn sie vor ihr gestanden hätte.
***
»Francesca, steh auf«, befahl Antonina. »Los, aus den Federn mit dir«, versuchte sie es dann in sanfterem Ton.
Antonina wusste, dass ihre Tochter erst spät ins Bett gegangen war. Jede Nacht dauerten ihre Ausflüge länger. Andererseits, wer sollte sie um diese Uhrzeit schon sehen? Sie schien es so zu genießen: das Landleben, die Ausritte auf Rex, die Nächte am Pool. Sie sah sie liebevoll an. Francescas Lebensfreude hielt sie aufrecht und gab auch ihr selbst wieder Lust am Leben, was seit dem Tod ihres Mannes Vincenzo nicht selbstverständlich war.
»Willst du wohl endlich aufwachen?«
» Cosa c’è, mamma ?«, fragte Francesca ungehalten, noch halb im Schlaf. »So früh!«, beschwerte sie sich dann mit einem Blick auf die Uhr.
»Señora Celia hat beschlossen, dass wir zwei nach Córdoba zurückfahren, jetzt gleich. Der Chauffeur wartet mit dem Wagen auf uns.«
Francesca setzte sich verwirrt auf die Bettkante.
»Wir sollen nach Córdoba zurück? Warum? Der Sommer ist noch nicht zu Ende.«
»Ich weiß es nicht, Francesca. Vor ein paar Minuten war die Señora hier, um es mir zu sagen. Soweit ich verstanden habe, fahren nur wir beide, der Rest der Familie bleibt hier. Paloma wird sich an meiner Stelle um die Küche kümmern.«
»Ich will hier nicht weg«, murrte Francesca, der die Konsequenzen dieser Entscheidung sofort klar waren. »Ich habe noch ein paar Tage Urlaub, bevor ich wieder zur Zeitung muss. Weshalb sollte ich zurückfahren?«
»Das hier ist kein Hotel, sondern die Arbeitsstelle deiner Mutter. Du bist hier, weil Señor Esteban es erlaubt, wenn du mir dafür in der Küche hilfst. Du bist alt genug, um das zu verstehen.«
Antonina mochte das Landleben, aber sie wollte auch in die Stadt zurück, um ihre Freunde wiederzusehen: Rosalía, Ponce, den Gärtner, und Félix, den Butler. Außerdem störte in letzter Zeit eine bohrende Sehnsucht ihre sonst so ruhigen und friedlichen Tage in Arroyo Seco, wenn sie an Fredo dachte.
Francesca zog sich murrend an und stopfte wütend ihre Kleider in den Koffer. Señora Celia hatte ein seltenes Talent, alles Schöne zu zerstören. Durch den überstürzten Aufbruch konnte sie sich nicht von Cívico und Jacinta verabschieden und würde erst nächstes Jahr wieder auf Rex ausreiten können. Die Wut wich einer Traurigkeit, die ihr die Tränen in die Augen trieb, als ihr klar wurde, dass sie Aldo wochenlang nicht sehen würde – im besten Fall, denn wenn er nach Buenos Aires zurückkehrte, ohne vorher in Córdoba vorbeizuschauen, stand in den Sternen, wann sie ihn wiedersehen würde.
Francesca setzte sich aufs Bett und biss die Zähne zusammen, um nicht zu weinen.
3. Kapitel
An diesem Januartag diktierte Alfredo Visconti seiner Sekretärin Nora einen Brief und sagte ihr dann, dass sie gehen könne. Die Frau warf ihm einen kurzen Blick zu, nahm die Notizen und verließ den Raum. Alfredo lehnte sich im Sessel zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. Er dachte an die Ereignisse im Land, die er bestens kannte und über die er seit so vielen Jahren berichtete. Als
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