Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
mit dem Fuß gegen die Tür, und Francesca sank zu Boden, um gleich darauf erneut das Bewusstsein zu verlieren.
***
Kamal verzweifelte fast, während die Stunden unbarmherzig verstrichen. Er würde durchdrehen, wenn er nichts unternahm. Er ertrug es nicht, bequem auf dem Sofa zu sitzen, während Francesca alle möglichen Qualen durchlitt. Er konnte weder essen noch trinken, weil er sicher war, dass auch sie es nicht tat, und er verzichtete aufs Rauchen, um sich selbst zu bestrafen. Ja, zu bestrafen, denn er war schuld an ihrem Unglück. Er hatte sie dem Hass und dem Neid seiner Familie ausgesetzt, dem uralten Unverständnis zwischen Christen und Muslimen, den religiösen und kulturellen Vorurteilen. Er hatte nicht auf seine Freunde gehört, als sie ihn gewarnt hatten, dass er sie in Gefahr bringen würde. Er hatte sie unbedingt für sich haben wollen und würde nun durch sein egoistisches Verlangen, sie zu besitzen, womöglich die Hauptschuld an ihrem Tod tragen. Seine geliebte Francesca durfte nicht sterben! Nicht sie, der Habgier, Vorurteile und Hass so fern waren.
Er hatte sie nicht ausreichend beschützt; er hätte sie mitnehmen sollen, hätte sie niemals in Saudi-Arabien zurücklassen dürfen. Er dachte an sein Kind, Francescas und sein Kind, die Frucht einer unendlich großen Liebe. ›Allah, der du in deiner unermesslichen Allmacht alles vermagst, lass nicht zu, dass sie stirbt, nicht sie, die Mutter meines ersten Kindes. O Allah! Der Schuldige bin ich. Mich sollst du bestrafen, nicht sie‹, betete er stumm, dann brach es aus ihm heraus: »Es ist schon Nacht, vierundzwanzig Stunden sind vergangen, und immer noch nichts!« Er hieb mit der flachen Hand auf den Schreibtisch.
»Beruhige dich«, bat ihn Abdullah. »Wir tun alles, was in unserer Macht steht. Das Land wird von Norden nach Süden und von Osten nach Westen durchkämmt.«
Jemand klopfte an der Tür. Es war ein Mann vom Geheimdienst, der die Nachricht brachte, dass man Malik bin Kalem Mubarak gefasst habe.
»Und das Mädchen?«, entfuhr es Kamal.
»Von ihr gibt es keine Spur, Hoheit. Kalem Mubarak war allein. Er wurde nördlich von Al Bir gefasst.«
»Das ist fast an der Grenze zu Jordanien«, stellte Méchin fest.
»Genau«, bestätigte der Geheimagent. »Wir glauben, dass er versucht hat, das Land zu verlassen.«
»Wo ist er jetzt?«
»In zwei Stunden wird er mit dem Flugzeug in Riad landen.«
»Gut«, sagte Abdullah. »Geben Sie dem Hauptmann, der für den Transport zuständig ist, Bescheid, dass er Kalem Mubarak gleich nach der Ankunft in Riad in das Gefängnis im alten Palast bringen soll.«
Der Spezialagent verließ das Büro des Botschafters. Es lag eine merkwürdige Stimmung in der Luft, eine Mischung aus Erleichterung über Maliks Festnahme und Enttäuschung, weil Francesca nicht bei ihm gewesen war. Die Ungewissheit nagte an ihnen und ließ Befürchtungen aufkommen, die sie nicht weiterdenken wollten.
»Ich muss zum Palast«, verkündete Abdullah. »Ich will beim Verhör dabei sein.«
»Dieser Mann wird nichts sagen, es sei denn, unter Folter«, erklärte Kamal. »Nimm Abenabó und Kader mit. Sie wissen, wie man ihn zum Reden bringt.«
»Ich bin überzeugt, dass er auspacken wird, ohne dass wir zu solchen Methoden greifen müssen.«
»Foltere ihn!«, befahl Kamal. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Meine Frau und mein Kind befinden sich in den Händen eines Verrückten, und ich habe nicht vor, denjenigen, der sie ausgeliefert hat, mit Samthandschuhen anzufassen. Foltere ihn, solange noch Leben in ihm ist, bis er gesteht, wo man sie festhält!«
***
Kamal schöpfte Wasser in einen Krug und ließ es langsam über sie rinnen. Durstig, wie sie war, versuchte Francesca das Wasser aufzufangen, das ihr übers Gesicht lief. Das Brennen in ihrer Kehle hörte auf, und das kühle Wasser benetzte ihren nackten Körper. Es hatte zu regnen begonnen, und der Regen prasselte auf den See, in dem sie standen. Kamal füllte den Krug erneut und goss das Wasser über ihren Kopf. Immer und immer wieder, so schnell, dass ihr keine Zeit zum Atmen blieb, so heftig, dass sie nach Luft rang, so ungestüm, dass sie Angst bekam …
»Genug!«
Sie erwachte von ihrem eigenen Schrei, als der Wasserschwall ihr Gesicht traf. Sie erkannte den Mann, der sie durch die Gitterstäbe hindurch angeschrien hatte. Sie versuchte, sich zu bewegen, aber ein heftiger Schmerz durchfuhr ihre Arme und lähmte sie. Ihre Hände waren gefesselt, und bei dem Versuch, sich
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