Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
drehte fast durch bei dem Gedanken, dass er sie womöglich nie wiedersehen würde. Ohne sie hätte sein Leben keinen Sinn mehr. Dieses junge Mädchen von zweiundzwanzig Jahren, das so anders war als alles, was er zuvor gekannt hatte und was er war, war in einer warmen Sommernacht in sein Leben getreten und hatte ihm den Seelenfrieden geraubt. Er sprang auf und schlug die Hände vors Gesicht.
Die Spezialisten schreckten aus dem Schlaf hoch und kontrollierten die Telefonverkabelung und die Apparate. Al-Saud wanderte mit gesenktem Kopf im Zimmer auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt, während die Perlen seiner masbaha rasch durch seine Finger glitten. Er hatte Sauds Habgier unterschätzt. Und Tarikis Scharfsinn, denn wenn sein Bruder das alles zu verantworten hatte, wie er vermutete, musste der Ölminister als führender Kopf dahinterstecken, denn der hatte viel zu verlieren, falls Saud abdanken musste.
Mauricio kam ins Zimmer, gefolgt von Sara, die ein Tablett mit Kaffee und Hörnchen brachte. Die Abhörleute nahmen das kräftige, aromatische Getränk gerne entgegen und machten sich über das Gebäck her. Der Botschafter trat zu Kamal und reichte ihm eine Tasse.
»Nein danke«, sagte er und trat ans Fenster.
»Los, nimm den Kaffee«, beharrte Mauricio. »Du erreichst nichts damit, wenn du dich wie ein Asket aufführst. Seit einem Tag isst du nichts, trinkst nicht, schläfst nicht. Du musst stark und ausgeruht sein. Wir wissen nicht, was uns noch bevorsteht.«
Kamal nahm die Tasse und trank einen Schluck, der seine Lebensgeister zu wecken schien. In diesem Moment klingelte das Telefon. Die Spezialisten schalteten das Aufnahmegerät und die Fangschaltung ein und bedeuteten Mauricio und Kamal, gleichzeitig die Telefonhörer abzunehmen.
»Hallo? Wer spricht da?«, fragte der Botschafter.
»Das tut nichts zur Sache«, antwortete jemand mit offensichtlich verstellter Stimme. »Dies ist eine Nachricht für Prinz Kamal al-Saud.«
»Hier spricht al-Saud«, sagte Kamal mit einer Kaltschnäuzigkeit, die er nicht empfand.
»Ich habe das, wonach Sie suchen, Hoheit.«
»Ich will mit ihr sprechen.«
»Ich glaube nicht, dass Sie in der Position sind, Forderungen zu stellen, Hoheit. Wenn Sie Ihre Frau und das Kind wiedersehen wollen, wird Sie das zwanzig Millionen Dollar kosten. Sie selbst werden die Summe zum angegebenen Zeitpunkt am angegebenen Ort übergeben. Sie müssen allein kommen. Eine Menschenseele im Umkreis von fünfzig Kilometern, und das Mädchen stirbt.«
»Ich werde keinen Finger rühren, wenn ich nicht genau weiß, ob sie noch am Leben ist.«
Auf ein Zeichen von Abu Bakr schleifte ein Mann Francesca zum Telefon.
»Kamal …«, hauchte Francesca kraftlos.
»Francesca!«
»Komm nicht, Kamal, sie wollen dich umbringen …«
Abu Bakr versetzte ihr einen Hieb, und sie stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus, bevor sie das Bewusstsein verlor.
»Du Bastard, du Hurensohn! Fass sie nicht an! Ich zerreiße dich mit meinen eigenen Händen! Tu ihr nicht weh! Du Bastard!«
Ein gleichförmiges Tuten zeigte an, dass die Verbindung unterbrochen wurde. Die Techniker hielten das Tonband an und schalteten das Peilgerät aus. Mauricio nahm Kamal den Hörer aus der Hand und legte auf.
»Er hat sie geschlagen«, sagte Kamal, völlig außer sich. »Er hat sie geschlagen!«
»Was ist mit dem Anruf?«, fragte Dubois, an die Spezialisten gewandt. »Konnten Sie ihn zurückverfolgen?«
»Leider nicht, obwohl der Anruf lang genug gedauert hat. Offensichtlich haben sie kein übliches Telefon benutzt, sondern irgendein Gerät mit neuester Technologie, von dem man den Anruf nicht zurückverfolgen kann.«
»Verdammt!«, fluchte Kamal und hieb mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »Analysiert die Tonbandaufnahme und versucht etwas zu finden, das uns einen Hinweis gibt.« Dann stürzte er aus dem Büro.
***
Francesca wälzte sich auf dem Boden der Zelle und versuchte, die Augen zu öffnen. Ein brennender Schmerz durchzuckte ihren Kiefer und konfrontierte sie erneut mit der Wahrheit, die zu akzeptieren ihr Verstand sich weigerte: Man hatte sie entführt, um Lösegeld von Kamal zu erpressen. Mühsam versuchte sie sich zu erinnern. Da war ihr Schlafzimmer in der Botschaft, ein Brief, den sie an ihre Mutter schrieb, Kamillentee, Buchstaben, die vor ihren Augen verschwammen, der Füllhalter, der ihr aus den Händen glitt, während sie die Kontrolle über ihren Körper verlor – Bilder, die ihr nichts
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