Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
Sara.«
»Das ist eben für Sie gekommen«, sagte diese und reichte ihr ein Päckchen.
»Bitte, Sara«, verlangte Francesca, während sie das Päckchen nahm, »nenn mich beim Vornamen und sag du zu mir. Wir werden für eine lange Zeit zusammenarbeiten, und es fällt mir leichter, wenn wir auf solche Förmlichkeiten verzichten.«
Sara blickte auf und schenkte ihr ein mädchenhaftes Lächeln, das im Gegensatz zu ihrem runzligen, wettergegerbten Gesicht stand.
»Wie kommt es, dass Kasem, Yamile und du so gut französisch sprecht?«
»Kasem und ich kommen aus Algerien. Unser Land ist seit 1847 französische Kolonie. Nach dem Aufstand gegen die französische Herrschaft spitzte sich die politische Lage zu, und es wurde gefährlich für Kasem. Kasem ist mein Lebensgefährte«, erklärte die Frau. »Wir mussten aus Algerien fliehen. Die französische Polizei suchte nach ihm und … Nun ja, ich hatte Familienangehörige in Saudi-Arabien, und so beschlossen wir, hierherzukommen. Yamile hat lange für die Frau des belgischen Botschafters gearbeitet. Dort hat sie Französisch gelernt, wenn auch nicht sonderlich gut, wie Sie … ich meine, wie du bestimmt gemerkt hast.«
Francesca öffnete den Umschlag und stellte fest, dass es sich um ihren Bildband über klassische Kunst handelte. Vergeblich suchte sie nach einem Kärtchen.
»Seltsam!«, bemerkte sie laut. »Das Buch wurde mir bei der Einreise nach Riad abgenommen, und jetzt bekomme ich es zurück.«
»Vielleicht hat der Herr Botschafter sich beschwert.«
»Unmöglich«, versicherte Francesca. »Ich habe ihm doch gar nichts von dem Vorfall erzählt.«
***
Mit der Zeit hatte Francesca die Zügel in der Botschaft fest im Griff. Ihre Arbeit gab ihr Selbstvertrauen, und sie begann wie damals in Genf von ein bisschen Frieden und Glück zu träumen. Aber es gab auch Momente, in denen es ihr schlechtging und sie wie ein Häufchen Elend in ihrem Zimmer hockte. Doch dann schluckte sie die Tränen herunter und fasste sich wieder. Schließlich meinte es das Leben trotz der erlittenen Enttäuschung nicht allzu schlecht mit ihr. Nie hätte sie sich träumen lassen, aus Córdoba wegzukommen, um in einer Stadt wie Genf zu leben und mit wichtigen Leuten und interessanten Persönlichkeiten an Botschaftsfesten und Konsulatsempfängen teilzunehmen. Und was war so schlimm daran, ein paar Jahre in Saudi-Arabien zu verbringen, einem geheimnisvollen, faszinierenden Land, das fast etwas Magisches hatte?
Francesca arbeitete gerne mit Dubois zusammen, von dem sie jeden Tag etwas Neues lernte. Sie konnte sich nicht beschweren. Ja, sie hatte gelitten, aber wer tat das nicht? Ihre Mutter hatte gelitten, als sie Witwe wurde. Fredo nach dem Selbstmord seines Vaters und dem Tod seines Bruders Pietro. Und Sofía. Wollte sie zulassen, dass ihr Leben in solch eintöniger Schwermut versank wie das ihrer Freundin? Wollte sie ewig der Vergangenheit nachhängen, so wie Sofía? Dann schämte sie sich. Wie konnte sie ihre Traurigkeit mit der Trauer eines Menschen vergleichen, der ein Kind verloren hatte? Sofías Kummer ließ sich wirklich nicht mit der enttäuschten Liebe einiger Sommernächte vergleichen.
Sie stand auf, strich ihren Rock glatt und verließ ihr Zimmer. Der Bericht über Dschidda, die erste Aufgabe dieser Art, die Dubois ihr übertragen hatte, machte ihr großen Spaß. Es erinnerte sie an ihre Zeit bei El Principal , wenn sie sich bei der Recherche für einen Artikel in Bibliotheken vergraben hatte und in staubigen, nur selten benutzten alten Büchern auf unglaubliche Geschichten und Ereignisse gestoßen war. In Saudi-Arabien allerdings gestaltetete sich die Suche nach Informationen schwierig und mühsam. Zu dem Mangel an Bibliotheken und Museen kam die Abneigung der Saudis, gewisse Dinge über ihr Land preiszugeben. Auf Empfehlung des Botschafters wurde sie von einem Beamten im Finanzministerium empfangen, dem es offensichtlich unangenehm war, mit einer Frau zu reden. Er gab ihr nur wenige Informationen, ein paar veraltete Broschüren und den Namen eines Buchs, das sie sich gar nicht erst besorgte, weil es auf Arabisch war. Trotz dieser Schwierigkeiten musste der Bericht über Dschidda am nächsten Morgen fertig sein.
Riad war die Hauptstadt des Landes, doch Dschidda, am Roten Meer gelegen, versuchte sich mit seinem modernen Hafen der westlichen Welt anzunähern. Die Entwicklung der Stadt ging in Riesenschritten voran, je mehr der Reichtum der Familie Saud und damit ihre Freude am
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