Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
aber gut erhaltenen Gebäuden entlang. Die grauen oder rötlichen Fassaden waren in eine endlose Staubwolke gehüllt, die sich nie zu legen schien. »Wie dunkel muss es da drinnen sein!«, sagte sie sich, als sie bemerkte, dass die Häuser nur zwei oder drei Fenster besaßen, die von filigran geschmiedeten Gittern geschützt wurden. Hin und wieder ragte eine eindrucksvolle Moschee aus der Stadtlandschaft heraus.
Malik sprach nicht. Verärgert über den Vorfall mit dem Buch, fragte er sich, ob es wirklich nötig war, eine Frau als Assistentin des Botschafters einzustellen. Er mochte die Ungläubigen nicht, Männer wie Frauen, aber er hätte doch einen Angehörigen seines eigenen Geschlechts bevorzugt statt dieses jungen Mädchens, dem die Schamlosigkeit des Westens ins Gesicht geschrieben stand. Es erschien ihm als eine Todsünde, dass Andersgläubige die Dreistigkeit besaßen, den Boden zu betreten, auf dem der Prophet Mohammed geboren war.
Als sie das Diplomatenviertel erreichten, änderte sich die Umgebung. Die schlichten orientalischen Häuser wichen kleinen Palais und Villen im besten Pariser Stil, die von großen Gärten mit schmiedeeisernen Zäunen umgeben waren.
»Wir sind da«, verkündete Malik.
Das Auto bog durch das Tor in einen gepflegten Park, in dem allerdings nicht viel wuchs und blühte. Die größte Aufmerksamkeit zogen die Dattelpalmen auf sich, die den Weg zum Eingangsportal säumten. Malik öffnete den Wagenschlag und half Francesca beim Aussteigen. Eine zierliche Frau mit einem angenehmen Lächeln erschien und nahm ihr das Handgepäck ab.
»Herzlich willkommen, Mademoiselle«, sagte sie und lächelte noch stärker. »Mein Name ist Sara. Ich bin für den Haushalt der Botschaft zuständig.«
Malik verschwand mit dem Koffer, und Sara führte Francesca zum Eingang.
»Es ist eine Freude, Sie hier bei uns zu haben«, fuhr Sara fort. »Ich bin froh, dass noch eine Frau in die Botschaft kommt, denn außer der Köchin, Yamile, und mir sind alle Männer. Überhaupt sind wir nur wenige hier.«
Sara machte einen netten Eindruck auf Francesca.
»Sie müssen erschöpft sein«, sprach sie weiter, während sie sie die Treppe hinaufbegleitete. »Es ist eine weite Reise. In diesem Trakt ist Ihr Zimmer. Ich hoffe, es sagt Ihnen zu.«
»Ganz bestimmt«, versicherte Francesca.
»Der Herr Botschafter …«, fuhr Sara fort, während sie die Tür öffnete. »Bitte, treten Sie ein. Das ist Ihr Zimmer. Der Herr Botschafter hat auf sie gewartet, aber da sich Ihre Ankunft verzögerte, konnte er nicht länger warten und musste zu einem Termin gehen.«
»In Dschidda gab es eine Verspätung«, erklärte Francesca.
»Ja, ja. In diesem Land gibt es ständig Verspätungen«, bemerkte Sara und zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls lässt der Herr Botschafter ausrichten, dass er Sie heute Abend begrüßen wird, wenn er zurückkommt. Wie wäre es mit einem Bad?«
»Ja, das wäre sehr schön.«
Nach dem Baden legte sich Francesca aufs Bett, schaute an die Decke und fragte sich erneut: »Was zum Teufel mache ich eigentlich hier?«
***
Mauricio Dubois, der argentinische Botschafter in Saudi-Arabien, war nicht älter als fünfunddreißig. Er war groß und schlank und ein bisschen linkisch in seinen Bewegungen, aber er besaß die Manieren eines Gentleman, eine sanfte Stimme, die stets beruhigend auf Francesca wirkte, und den offenen Blick eines ehrlichen Mannes.
Anders als den Konsul in Genf musste sie ihn nur selten an seine Verabredungen und Termine erinnern. Er war bestens über die Vorgänge in der Botschaft informiert und sorgte sich um das Wohlergehen seiner Untergebenen. Mit der Zeit bewunderte Francesca ihn genauso wie Fredo. Sie mochte seine ruhige, ausgleichende Persönlichkeit, seine gelassene, aber bestimmte Art, wenn er auf einen Fehler hinwies, die Geduld, mit der er etwas erklärte, und dass er sich Zeit zum Nachdenken nahm. Er war sehr gebildet, ohne je damit zu prahlen. Es schien ihm sogar unangenehm zu sein, wenn Francesca darauf zu sprechen kam.
»Du staunst, weil ich viel über die Araber weiß, aber gib dir ein bisschen Zeit, dann weißt du genauso viel wie ich.«
»Das bezweifle ich«, entgegnete Francesca.
Als sie sich kennenlernten, bemerkte Francesca, dass Dubois überrascht, vielleicht auch verärgert über ihr Alter war, auch wenn er es zu überspielen versuchte.
»Wie alt bist du?«, fragte er, während er in den Unterlagen blätterte.
»Einundzwanzig«, antwortete Francesca
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