Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
im Bett lag, las sie noch einmal den Bericht über Dschidda, den sie ihrem Chef am nächsten Morgen geben wollte. Nach einer Weile knipste sie das Licht aus, betete kurz und versuchte zu schlafen. »Ich hätte nie gedacht, dass eine Argentinierin schöner sein könnte als die Frauen meines Landes.« Bei dem Gedanken an die Stimme des Arabers, dem sie am Morgen begegnet war, wurde sie wieder hellwach. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie so taktlos und unhöflich gewesen war. Sie hätte sich vorstellen und etwas sagen sollen, oder sich dafür entschuldigen, dass sie hereingekommen war, ohne anzuklopfen. Stattdessen war sie stumm geblieben und hatte zugesehen, wie er auf sie zukam. Und als sie sich dann gegenüberstanden, hatte sie dieses sonderbares Gefühl von Angst und Beunruhigung beschlichen. Ja, Angst. Immerhin war er ein Araber, ein ungehobelter Kerl mit wilden, rückständigen Sitten, ein Primitivling, der keinerlei Achtung vor Frauen hatte, die für ihn nicht viel mehr waren als Tiere. Geh nie ohne abaya aus der Botschaft, hatte Sara sie gewarnt. Die mutawa , die Religionspolizei, berüchtigt für ihre Strenge und Grausamkeit, würde ihr eine schlimme Tracht Prügel verpassen, wenn sie auch nur einen entblößten Knöchel entdeckte.
Was diesen Araber betraf, so hatte sie allerdings auch ganz deutlich eine gewisse Aufregung verspürt. Aber nein. Bestimmt war auch das nur die Angst gewesen. Das heftige Herzklopfen und das Kribbeln im Magen waren auf den Schreck und die Überraschung zurückzuführen. Aber sie musste zugeben, dass sie ihn trotz der Tunika und des Kopftuchs attraktiv gefunden hatte. Er besaß eine exotische Schönheit, die sie beeindruckt hatte. Jedenfalls war er völlig anders als Aldo.
Eine Woche später, Anfang November, herrschte eine Hitze wie im Sommer. »Wird es denn hier nie kalt?«, fragte sie sich genervt. In den Räumen des Botschafters allerdings war es auszuhalten. Während der heißesten Stunden des Tages blieben die Läden geschlossen, und erst wenn es dunkel wurde, wurden sie weit geöffnet, damit der Abendwind die kühle Luft aus dem Park hereintragen konnte. An diesem Tag legte sie besonderes Augenmerk auf jede Kleinigkeit in Dubois’ Büro. Sie hatte Blumen besorgt, die einen angenehmen Duft verbreiteten und Farbe in den Raum brachten, der wegen der gediegenen moosgrünen Sessel und der beigefarbenen Vorhänge ein wenig trist wirkte. Sara hatte das Parkett gewienert und das Silber geputzt, und Yamile stellte gerade Häppchen und kühle Getränke für die Gäste des Botschafters auf den Tisch.
»Es ist eine ausgezeichnete Gelegenheit für Argentinien, Geschäftsbeziehungen zu knüpfen«, hatte Dubois über den Empfang am heutigen Abend gesagt. Mehrere Unternehmer aus Dschidda, die zu Besuch in der Hauptstadt weilten, hatten die Einladung des jungen argentinischen Botschafters akzeptiert.
In seiner Rolle als Butler führte Kasem drei Männer in Dubois’ Büro. Einer davon war trotz seines westlichen Anzugs ganz offensichtlich ein Araber, die beiden anderen waren Engländer. Francesca hieß sie willkommen, bat sie Platz zu nehmen und bot ihnen etwas zu trinken an. Sie teilte ihnen mit, dass der Botschafter gleich eintreffen werde, und reichte ihnen eine Broschüre über die Vorteile von Investitionen in Argentinien, in der sie blätterten, während sie warteten. Dann erschien Dubois, elegant gekleidet und gut duftend, und gab Francesca zu verstehen, dass sie gehen könne. Im Flur traf sie auf Sara, die dabei war, Porzellanscherben vom Fußboden aufzusammeln, und dabei lautlos weinte.
»Was ist passiert? Hast du dir wehgetan?«, fragte Francesca besorgt und ging in die Knie. Sie nahm die knotigen, schwieligen Hände der Algerierin und vergewisserte sich, dass sie sich nicht geschnitten hatte.
»Ob der Botschafter gehört hat, dass mir das Tablett mit den Kaffeetassen heruntergefallen ist?«, sorgte sich Sara. »Ich bin über die Teppichkante gestolpert und habe dummerweise das Tablett fallen lassen. Ich bin zu nichts zu gebrauchen!«
»Keine Sorge, ich bringe das hier in Ordnung. Geh du lieber neue Tassen holen. Der Botschafter wird auf den Kaffee warten.«
Immer noch aufgelöst und schluchzend, stand Sara auf und verschwand in der Küche. Francesca kniete sich wieder hin, um die kaputten Tassen und Teller einzusammeln.
»Brauchen Sie Hilfe, Mademoiselle?«
Vor Francesca stand eine hochgewachsene Gestalt: Es war der Mann aus dem Büro, den ihr Chef »mein Freund«
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