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Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)

Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)

Titel: Was deine Augen sagen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florencia Bonelli
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die Liebe zu deinem Volk nur noch vertieft. Dadurch, dass du auch die westliche Denkweise kennst, ist deine Entscheidung, Araber zu sein, ein freier und wohlüberlegter Akt. Wer das nicht versteht, ist ein Dummkopf.«
    »Es ist mir egal, was man von mir hält. Sorgen macht es mir nur, wenn es mich daran hindert, so schnell wie möglich an die Macht zu kommen, um schlimmeres Unheil zu verhindern. Aber ich habe dich lange genug aufgehalten«, sagte er dann. »Außerdem bin ich mit Onkel Abdullah verabredet und komme zu spät, wenn ich jetzt nicht gehe.«
    Er erhob sich und ging zu seinem Rolls-Royce, der ein paar Meter entfernt parkte. Die schwarzen Leibwächter durchquerten den Park und stiegen in den Wagen, wo Kamal auf dem Rücksitz wartete. Während das Auto die palmengesäumte Auffahrt entlangfuhr, drehte Kamal sich noch einmal zur Veranda um und sah, wie Francesca mit einigen Unterlagen in der Hand zu ihrem Chef trat. Mauricio sagte etwas zu ihr, und sie lächelte.
    ***
    »Die Araber konnten von einer Idee wie von einem Strick mit fortgerissen werden. Ihr Geist war dunkel und seltsam, voller Höhen und Tiefen, der strengen Zucht entbehrend, aber glühender und fruchtbarer im Glauben als irgendein anderer auf der Welt. Sie waren beweglich wie Wasser, und wie das Wasser werden sie schließlich vielleicht obsiegen. Seit dem Anfang der Tage sind sie in immer neuen Wellen gegen die Küsten des Irdischen angebrandet. Jede Welle brach sich, aber eines Tages, in vielen Menschenaltern, wird sie vielleicht ungehemmt über die Stelle hinwegrollen, wo einst die materielle Welt gewesen ist, und Gott der Herr wird über den Wassern schweben.«
    Francesca klappte Die sieben Säulen der Weisheit von Thomas Edward Lawrence zu und dachte über das nach, was sie soeben gelesen hatte. »Durch dieses Buch«, hatte Mauricio zu ihr gesagt, »wirst du zumindest ansatzweise verstehen, was diese Menschen ausmacht, die im Westen so viele widersprüchliche Gefühle auslösen.«
    Von wegen widersprüchliche Gefühle, dachte Francesca. Sie waren schlicht und ergreifend ein rückständiges Volk, das sich nicht weiterentwickeln wollte. Allerdings hütete sie sich davor, das ihren Chef wissen zu lassen, der so begeistert von diesen Menschen war.
    »Im Grunde«, sagte sie sich, nachdem sie über Lawrences Worte nachgedacht hatte, »sind die Araber wie kleine Kinder. Kinder, die sich genauso freuen, wie sie zutiefst betrübt sind, Kinder, die sich lenken lassen wie in der Schule, Kinder, die durch eine Laune der Natur über die Grundlage des Reichtums der industrialisierten Welt verfügen.« Diese letzte Feststellung erfüllte sie mit Sorge. Die Gründung der OPEC war kein Kinderspiel, sondern ein geschickter Schachzug – riskant zwar, keine Frage, aber ein gutes Spiegelbild des hohen Selbstverständnisses, das sie von sich hatten.
    »Wie wird es nach der Gründung des Kartells mit den Arabern weitergehen?«, hatte Fredo in seinem letzten Brief gefragt. Nach seiner Einschätzung würden die Ölkompanien eine gemeinsame Front bilden und sie gnadenlos vernichten. »Natürlich ist die Situation ungerecht: Die großen Konzerne haben das Erdöl für sich beansprucht und nie daran gedacht, die Förderländer besser zu entschädigen, und sie haben auch nicht die Absicht, es zu tun, das versichere ich dir. Wenn du dir die Verbrauchsstatistiken ansiehst, kann die Verschwendung von Erdöl aufgrund des niedrigen Preises auf Dauer zu einer ernsten Krise führen. Aber wer denkt schon an die ferne Zukunft, wenn man die Dollars nur so scheffeln kann?«
    Des Problemwälzens müde, legte sie sich ins Bett. Wer würde die Lage in den Griff bekommen? Sie fühlte sich so ohnmächtig angesichts des ganzen Unglücks, mit dem die Welt von Nord nach Süd und von Ost nach West zu kämpfen hatte – ganz so, als sei sie für all das verantwortlich. Dabei hatte sie es nicht einmal geschafft, Sofía und ihrem Baby zu helfen. Wäre sie damals geschickter und mutiger gewesen, könnte sie heute bereits ein Patenkind von vier Jahren haben. Was war sie denn anderes als eine einfache Sekretärin, die Blumen im Büro ihres Chefs aufstellte und seine Gäste begrüßte? Es erschien ihr so wenig, dafür, dass sie eigentlich zu Höherem bestimmt war. Ihr Onkel hatte immer zu ihr gesagt: »Du wirst einmal eine sehr einflussreiche Frau sein.« Reines Wunschdenken von Fredo, der sie so gerne mochte. Was tat sie denn schon? Nichts, außer um die verlorene Liebe eines nichtsnutzigen

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