Was der Hund sah
Durchsuchung von Nosairs Wohnung in New Jersey fanden Ermittler sechzehn Kisten mit Archivmaterial, darunter Trainingspläne der Army Special Warfare School, Kopien von Rundschreiben an die Führung der amerikanischen Streitkräfte, Anleitungen zum Bombenbau und mit arabischen Anmerkungen versehene Karten von wichtigen Gebäuden wie der Freiheitsstatue, dem Rockefeller Center und dem World Trade Center. Die Autoren von The Cell behaupten, Nosair habe Verbindung zu den Waffenschmugglern und islamischen Extremisten in Brooklyn unterhalten, die hinter dem ersten Anschlag auf das World Trade Center zweieinhalb Jahre später steckten. Deren Schlüsselfigur war wiederum Ramzi Yousef, der 1994 in Manila auftauchte, wo er offenbar plante, den Papst zu ermorden, ein Flugzeug auf das Pentagon oder das CIA-Hauptquartier stürzen zu lassen und gleichzeitig zwölf internationale Linienmaschinen in die Luft zu sprengen. Und mit wem traf sich Yousef auf den Philippinen? Mit Mohammed Khalifa, Wali Khan Amin-Shah und Ibrahim Munir, die Seite an Seite mit einem Mann gekämpft und ihm Treue geschworen hatten: einem zwielichtigen Saudischen Millionär namens Osama bin Laden.
Miller hatte ein Jahrzehnt lang als Fernsehkorrespondent gearbeitet, und in den besseren Kapiteln von The Cell stellt er seine persönlichen Erfahrungen bei der Recherche der Geschichte um die Terroristen dar. Miller ist ein Ausnahmereporter. Nach dem Anschlag in der Tiefgarage des World Trade Center im Februar 1993 klemmte er sich ein Blaulicht aufs Autodach und folgte den Einsatzfahrzeugen. (Am Ort des Anschlags hefteten sich ihm eine Traube von Kollegen an die Fersen, darunter auch ich, weil wir zu dem Schluss gekommen waren, dass wir am meisten erfuhren, wenn wir versuchten, etwas von seinen Gesprächen aufzuschnappen.) Miller war mit Neil Herman und John O’Neill, den Leitern der New Yorker FBI-Zentrale für Terrorismusbekämpfung befreundet und war genau so besessen von al-Qaida wie sie. Nach dem Anschlag der al-Qaida auf die USS Cole im Sommer 2000 flog er mit den beiden in den Jemen. Im Jahr 1998 lernte er im Marriott-Hotel von Islamabad einen gewissen Akhtar kennen, der ihn und seinen Kameramann über die Grenze in die afghanischen Berge schmuggelte und ein Interview mit Osama bin Laden arrangierte. The Cell stellt den Zeitraum zwischen 1990 und dem 11. September 2001 als eine nahtlose und vernichtende Geschichte dar: der Aufstieg der al-Qaida. »Wie konnte das passieren?«, fragen die Autoren in der Einleitung. Die Antwort finden sie in einem roten Faden, der von Kahanes Mord bis zum 11. September führt. Die Ereignisse des vergangenen Jahrzehnts, so die Autoren, ergäben »ein eindeutiges Muster«.
Zu demselben Schluss kommt Senator Richard Shelby, stellvertretender Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des Senats in seinem Bericht zum 11. September, den er vergangenen Dezember vorlegte. In diesem einleuchtenden und beeindruckenden Dokument stellt Shelby akribisch alle übersehenen und falsch interpretierten Anzeichen zusammen, die auf einen größeren Terrorangriff hinwiesen. Die CIA wusste, dass mit Khalid al-Mihdhar und Nawaf al-Hazmi zwei al-Qaida-Führer in die Vereinigten Staaten eingereist waren, doch sie gab diese Information nicht an das FBI oder den Nationalen Sicherheitsrat weiter. Ein FBI-Agent in Phoenix schickte einen Bericht an die Zentrale, die mit folgendem Satz begann: »Dieser Bericht soll die Zentrale und New York über den systematischen Versuch Osama bin Ladens informieren, Studenten in den Vereinigten Staaten zu entsenden, wo sie zivile Flugschulen besuchen sollen.« Doch das FBI ging dieser Information nie nach und stellte keine Verbindung zu anderen Berichten her, nach denen Terroristen planten, Flugzeuge als Waffen einzusetzen. Das FBI verhaftete den mutmaßlichen Terroristen Zacarias Moussaoui, nachdem sich dieser in einer Flugschule auffällig verhalten hatte, doch es war nicht imstande, den Fall in ein größeres Bild terroristischer Aktivitäten einzuordnen. Der Shelby-Report kommt zu dem Schluss: »Das schwerwiegendste Problem ist die Unfähigkeit der Geheimdienste, die Punkte zu verbinden, die vor dem 11. September verfügbar waren, und die Absicht der Terroristen zu erkennen, symbolische Ziele in den Vereinigten Staaten anzugreifen.« Shelby verwendet das Bild »die Punkte verbinden« so häufig, dass es sich in eine Art Mantra verwandelt. Es gab ein Muster, das im Rückblick sonnenklar erscheint, doch die
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