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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Autoren hier nicht in die Falle des schleichenden Determinismus? Es handelt sich um eine bearbeitete Version der Vergangenheit. Wir erfahren nicht, wen die amerikanischen Geheimdienste noch beobachteten, wie viele Warnungen sie außerdem erhielten, und wie viele andere zunächst viel versprechende Hinweise im Sande verliefen. Die größte Herausforderung der Geheimdienste war schon immer das »Rauschen«, die Tatsache also, dass es weit mehr nutzlose als nützliche Informationen gibt. Nach Angaben des Shelby-Reports gingen bei der Abteilung für Terrorismusbekämpfung des FBI seit 1995 rund 68 000 Hinweise ein, denen niemand nachging. Davon waren wahrscheinlich nur einige Hundert wirklich hilfreich. Mit anderen Worten, Analysten müssen selektiv vorgehen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Entscheidungen, die in Kenia getroffen wurden, nicht unvernünftig. Die Beobachtung der Zelle wurde eingestellt, aber ihr Anführer hatte schließlich das Land verlassen. Bushnell warnte Washington, doch wie die Autoren von The Cell einräumen, gab es in Afrika immer wieder Bombendrohungen. Offiziere des Mossad hielten die Informationen des kenianischen Geheimdienstes für zweifelhaft, und der Mossad sollte es schließlich wissen. Ahmed arbeitete zwar für bin Laden, aber er fiel bei einem Test mit einem Lügendetektor durch, und es stellte sich heraus, dass er zuvor zahlreiche andere amerikanische Botschaften in Afrika gewarnt hatte, ohne dass etwas passiert wäre. Wenn jemand in Ihr Büro käme, einen Test mit dem Lügendetektor nicht besteht und Sie herausfinden, dass er seine Behauptungen schon in der ganzen Stadt verbreitet hat, würden Sie ihn dann nicht auch vor die Tür setzen?
    Denselben Fehler machen Miller, Stone und Mitchell, wenn sie den Mitschnitt eines Gesprächs zwischen Abdel Kader Es Sayed und einem Mann namens al Hilal, zwei Angehörigen der al-Qaida zitieren, das im August 2001 vom italienischen Geheimdienst abgehört wurde. Ihrer Meinung nach handelt es sich um einen weiteren »Hinweis auf die Anschläge des 11. September«.
    »Ich habe mich mit Flugzeugen beschäftigt«, sagt al Hilal zu Es Sayed. »So Gott will, bringe ich dir ein Fenster oder ein Stückvon einem Flugzeug mit, wenn wir uns das nächste Mal sehen.« »Was, ist ein Dschihad geplant?«, fragt Es Sayed.
    »Hör in der nächsten Zeit die Nachrichten und achte auf die Worte ›hoch oben‹«, antwortet al Hilal. Es Sayed meint, es handele sich um eine Operation in seinem Heimatland Jemen, doch al Hilal korrigiert ihn: »Der Überraschungsangriff findet in dem anderen Land statt, und du wirst ihn nie vergessen.«
    Wenig später sagt al Hilal über den Plan: »Es ist etwas Schreckliches, das von Süd nach Nord geht, und von Ost nach West. Der Mann, der sich den Plan ausgedacht hat, ist ein Verrückter, aber ein Genie. Er wird ihnen einen Schock versetzen.«
    Dieses Gespräch gibt Rätsel auf. Aus heutiger Sicht scheint es sich eindeutig auf den 11. September zu beziehen. Aber kann man es wirklich als einen »Hinweis« bezeichnen? Es ist weder von einem Ort, noch von einem Zeitpunkt, einer Methode oder einem Ziel die Rede. Man kann nur den Schluss ziehen, dass sich Terroristen gern über dramatische Aktionen mit Flugzeugen unterhalten, womit sich diese beiden nicht von anderen Terroristen der vergangenen dreißig Jahre unterscheiden.
    In der wirklichen Welt sind Informationen immer mehrdeutig. Informationen über die Absichten der Feinde sind in der Regel nicht detailliert genug. Und wenn sie detailliert genug sind, verraten sie nichts über deren Absichten. Im April 1941 erfuhren die Alliierten beispielsweise, dass Deutschland an der Grenze zu Russland eine gewaltige Armee zusammengezogen hatte. An der Information gab es nichts zu deuteln, man konnte die Truppen sehen und zählen. Aber was bedeutete sie? Churchill kam zu dem Schluss, dass Hitler einen Angriff auf die Sowjetunion plante. Stalin war überzeugt, dass Hitler die Sowjetunion angreifen würde, wenn diese dem deutschen Ultimatum nicht nachkam. Der britische Außenminister Anthony Eden hielt den Truppenaufmarsch für einen Bluff, mit dem Hitler den Sowjets weitere Zugeständnisse abpressen wollte. Die britischen Geheimdienste glaubten - zumindest zunächst - dass Hitler lediglich seine Ostfront vor einem möglichen russischen Angriff schützen wollte. Die Information hätte nur dann einen eindeutigen Schluss zugelassen, wenn die Alliierten über weitere Daten verfügt hätten - wie es

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