Was der Hund sah
beispielsweise das Telefongespräch zwischen al Hilal und Es Sayed war -, aus denen die wahren Absichten der Deutschen hervorgegangen wären. Umgekehrt wäre das Telefonat von al Hilal nur dann schlüssig gewesen, wenn wir über die Bewegungen der al-Qaida genau so viel gewusst hätten wie die Alliierten des Zweiten Weltkriegs über die Truppenbewegungen der Deutschen. Doch Geheimdienste kommen nur selten in den Luxus, über beide Arten der Information zu verfügen. Analysten sind auch keine Gedankenleser. Diese Fähigkeit erwerben wir Menschen erst im Rückblick.
Die Autoren von The Cell berichten, in den Monaten vor dem 11. September 2001 sei man in Washington beunruhigt gewesen:
Eine Zunahme des Telefonverkehrs zwischen mutmaßlichen al- Qaida-Angehörigen im Frühsommer 2001, sowie Aussagen eines verhafteten al-Qaida-Mitglieds, das sich zur Zusammenarbeit mit der Regierung entschlossen hatte, ließ in den Ermittlern die Überzeugung heranreifen, dass bin Laden eine bedeutende Operation plante - eine abgefangene Nachricht sprach von einem »Hiroshima-artigen« Ereignis - und dass er diese Operation bald durchführen wolle. Im Sommer warnte das CIA das Weiße Haus mehrfach, dass Anschläge unmittelbar bevorstünden.
Die Tatsache, dass diese Sorge die Anschläge nicht verhinderte, ist kein Beleg für die Grenzen der Informationsdienste. Er ist ein Beweis für die Grenzen der Information.
4.
Anfang der siebziger Jahre stellte David L. Rosenhan, Psychologieprofessor der Stanford University, eine Gruppe zusammen, die aus einem Maler, einem Studenten, einem Kinderarzt, einem Psychiater, einer Hausfrau und drei Psychologen bestand. Er bat sie, sich unter falschen Namen in psychiatrische Anstalten einweisen zu lassen und dort anzugeben, sie hörten Stimmen. Die Stimmen stammten von Unbekannten und wiederholten Wörter wie »leer«, »dumpf« und »hohl«. Abgesehen davon sollten die Pseudopatienten sämtliche Fragen wahrheitsgemäß beantworten, sich normal verhalten und den Mitarbeitern der Klinik bei jeder Gelegenheit sagen, dass sie keine Stimmen mehr hörten und keine Symptome mehr hatten. Die acht Versuchspersonen blieben im Durchschnitt 19 Tage lang in einer Klinik. Einer wurde erst nach fast zwei Monaten entlassen. Rosenhan wollte herausfinden, ob die Mitarbeiter der Kliniken das Spiel durchschauten. Die Antwort lautete nein.
Rosenhans Experiment ähnelt in vieler Hinsicht einem klassischen Problem der Aufklärung. Ein Signal (ein gesunder Mensch) verbirgt sich in widersprüchlichem und verwirrendem Rauschen (einer psychiatrischen Klinik), und die Aufklärer (die Ärzte) sollen die Punkte verbinden. Sie scheiterten kläglich. Während ihres Klinikaufenthalts wurden den acht Pseudopatienten insgesamt 2 100 Tabletten verabreicht. Sie wurden psychiatrischen Diagnosegesprächen unterzogen, und ihre Krankheit wurde in nüchternen Akten dokumentiert. Auf Anweisung von Rosenhan notierten sie die Einzelheiten ihrer Behandlung, und dies wurde schon bald als Teil ihrer vermeintlichen Krankheit identifiziert. »Patient zeigt Schreibverhalten«, notierte eine Pflegerin dunkel in der Akte. Sie waren bei ihrer Ankunft als krank diagnostiziert worden, und nun konnte nichts diese Diagnose erschüttern. »Nervös?«, fragte eine freundliche Schwester einen der Versuchsteilnehmer, der den Gang auf und ab ging. »Nein«, korrigierte er sie zwecklos, »gelangweilt«.
Die Lösung des Problems scheint auf der Hand zu liegen. Ärzte und Pflegepersonal müssen darüber informiert werden, dass mitunter auch gesunde Menschen in eine Klinik eingewiesen werden können. Also teilte Rosenhan den Mitarbeitern einer Lehrklinik mit, er werde ihnen in den kommenden drei Monaten einen oder mehrere seiner Pseudopatienten vorbeischicken. Von den 193 in diesem Zeitraum eingewiesenen Patienten wurden nun 41 von mindestens einem der Mitarbeiter als gesund diagnostiziert. Wieder war die Diagnose falsch. Rosenhan hatte keine einzigen Pseudopatienten geschickt. Bei dem Versuch, ein Problem der Informationsbeschaffung zu lösen (die Überdiagnose) schuf die Klinik ein neues (nämlich die Unterdiagnose). Dies ist die zweite und vielleicht schwerwiegendere Folge des schleichenden Determinismus: Bei dem Versuch, die vermeintlichen Probleme der Vergangenheit zu lösen, schaffen wir neue Probleme für die Zukunft.
Für Pearl Harbor wurde beispielsweise weithin ein Versagen der Geheimdienste verantwortlich gemacht. Die Vereinigten Staaten hatten ausreichend
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