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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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geputzt. Außerdem trug er einen Zweireiher - zugeknöpft.
2.
    In seinem Buch Das Profil eines Mörders erzählt der bekannte FBI- Ermittler John Douglas die Geschichte eines Serienmörders, der in den siebziger und achtziger Jahren die Straßen von Wichita, Kansas, unsicher machte. Douglas war die Vorlage für FBI-Agent Jack Crawford in Das Schweigen der Lämmer und Schüler des Profilers Howard Teten, der 1972 die FBI-Sondereinheit für Verhaltensforschung mit aufbaute. Teten wiederum war Schüler von Brussel. In der eng vernetzten Gemeinde der Profiler ist das ungefähr so, als würde man von einem Freud-Schüler analysiert. Für Douglas war Brussel der Vater des Profiling, und jede Seite seines Buchs ist eine Hommage an die Memoiren des Meisters.
    BTK, die drei Buchstaben, mit denen der Mörder seine Briefe an die Polizei von Wichita unterzeichnete, stand für »bind, torture, kill« (fesseln, foltern, töten). Zum ersten Mal schlug er im Januar 1974 zu, als er den 38-jährigen Joseph Otero, dessen Frau Julie, ihren Sohn Joey und die elfjährige Tochter in ihrem Haus tötete. Die Tochter wurde erhängt an einer Wasserleitung im Keller und mit Samenspuren am Bein gefunden. Im darauffolgenden April erstach er eine 24-jährige Frau. Im März 1977 fesselte und erwürgte er eine weitere Frau und beging im Laufe der folgenden Jahre mindestens vier weitere Morde. Wichita war in Aufruhr. Die Untersuchungen der Polizei führten zu keinem Ergebnis. In ihrer Verzweiflung kamen zwei Ermittler aus Wichita zu Douglas.
    Die Begegnung fand in einem Konferenzzimmer der gerichtsmedizinischen Abteilung des FBI in Quantico vor den Toren von Washington D. C. statt. Douglas war seit knapp einem Jahrzehnt bei der Einheit. Er ermittelte im Jahr in 150 Fällen und war ständig unterwegs, doch BTK ließ ihn nicht los. »Manchmal habe ich nachts wach gelegen und gedacht, wer ist dieser BTK? Warum tut jemand so etwas? Wie tickt er?«, schreibt Douglas.
    Neben Douglas saß Roy Hazelwood. Der schlanke Kettenraucher war auf Sexualverbrechen spezialisiert. Mit am Tisch befand sich auch ein früherer Air-Force-Pilot namens Ron Walker, ein Mann »von einer außergewöhnlichen Auffassungsgabe«, wie Douglas schreibt. Die drei FBI-Beamten und die Ermittler aus Wichita saßen an einem massiven Eichentisch. »Wir wollten so lange nachdenken, bis uns der Saft ausging«, schreibt Douglas. Dazu stützten sie sich auf eine Typologie ihres Kollegen Robert Ressler. Ziel war es, ein Profil des Killers zu erstellen - was für ein Mann er war, was er tat, wo er arbeitete, wie er war und so weiter. Damit beginnt Das Profil eines Mörders.
    Wir haben uns so sehr an die Krimis aus Sicht eines Profilers gewöhnt, dass wir vergessen, dass es sich eigentlich um ein revolutionäres Genre handelt. Der traditionelle Kriminalroman beginnt mit der Leiche und beschreibt die Suche des Detektivs nach dem Mörder. Spuren werden verfolgt, und der Suchwinkel wird weit geöffnet, um ein möglichst großes Spektrum der unterschiedlichsten Verdächtigen zu erfassen: den Butler, den verschmähten Liebhaber, den verbitterten Neffen, den mysteriösen Ausländer und so weiter. Das ist das Muster des klassischen Whodunit. Anders der Profiler-Krimi. Der Tatort ist nicht der Ausgangspunkt des Geschehens, sondern er definiert den Mörder. Der Profiler sichtet die Beweise, blickt in die Ferne und hat eine Eingebung. »In der Regel kann ein Psychiater einen Mann analysieren und einige vernünftige Vorhersagen über sein künftiges Verhalten treffen, etwa wie er auf einen bestimmten Reiz reagiert oder wie er sich in einer bestimmten Situation verhält«, schreibt Brussel. »Ich habe das Verfahren umgekehrt. Aus der Analyse der Taten ziehe ich Schlüsse auf die Eigenschaften des Täters.« Suchen Sie einen Slawen mittleren Alters mit einem Zweireiher.
    Der Profiler verfolgt den Täter nicht. Dafür ist die Polizei vor Ort zuständig. Er trifft sich nur mit den Ermittlern. Oft schreibt er seine Einschätzungen nicht einmal auf. Auch dafür sind die Polizisten zuständig. Er fühlt sich nicht verpflichtet, sich an den Ermittlungen zu beteiligen oder auch nur seine Prognosen zu begründen. In einem Fall einer älteren Frau, die brutal zusammengeschlagen und vergewaltigt worden war, besuchte Douglas einmal eine Polizeistation. Die Ermittler waren normale Polizeibeamte, und Douglas kam vom FBI, und man kann sich vorstellen, wie er sich auf die Schreibtischkante setzte, während die Polizisten im

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