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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Bergen nördlich von San Francisco Anhalterinnen umbrachte. Douglas beschrieb ihn als den klassischen nicht organisierten Mörder - einen Blitzangreifer, weiß, Anfang bis Mitte dreißig, Arbeiter, der vermutlich in seiner Jugend ein »Bettnässer, Zündler und Tierquäler« gewesen war. Dann kam er darauf zu sprechen, wie asozial der Täter schien. Warum ermordete er seine Opfer in Waldstücken kilometerweit von der Straße entfernt? Douglas erklärte, der Täter suche die Abgeschiedenheit, weil er unter einem Gebrechen litt, dessen er sich schämte. Könnte es etwas Körperliches sein, beispielsweise ein fehlendes Bein? Aber wie schaffte er es dann, seine Opfer zu überwältigen und kilometerweit in den Wald zu schleppen? Schließlich hatte er eine Eingebung. »Noch etwas«, sagte er und machte eine bedeutungsschwangere Pause. »Der Täter stottert.«
    Es stimmte. Das ist doch mal ein nützliches Detail. Oder doch nicht? Der Täter war nicht Anfang dreißig, sondern fünfzig. Kriminalermittler benutzen die Profile, um den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen. Es hilft nicht weiter, wenn ein spezifisches Detail stimmt, während ein allgemeines Detail falsch ist.
    Im Falle von Derrick Todd Lee, dem Serienmörder von Baton Rouge, beschrieb das FBI-Profil den Täter als weißen Arbeiter zwischen 25 und 35, »der sich wünscht, dass Frauen ihn attraktiv finden«. Weiter heißt es in dem Profil: »Im Umgang mit Frauen, vor allem sozial höher gestellten Frauen, ist er jedoch unbeholfen. Frauen, die er attraktiv findet, würden Kontakte mit ihm als ›peinlich‹ beschreiben.« Das FBI-Profil behielt Recht, als es den Täter als Arbeiter zwischen 25 und 35 beschrieb. Doch Lee war charmant und extrovertiert, er zog sich Cowboyhut und Stiefel an, um durch die Bars zu ziehen. Er hatte viele Freundinnen und galt als Frauenheld. Und er war schwarz.
    Ein Profil ist kein Test, den man besteht, wenn man die meisten Fragen richtig beantwortet. Es handelt sich um ein Phantombild, dessen Details zutreffen müssen, wenn es bei der Ermittlung hilfreich sein soll. Das britische Innenministerium wertete 184 Ermittlungsverfahren aus, um herauszufinden, wie häufig das Profil zur Verhaftung des Täters geführt hatte. In ganzen fünf Fällen traf dies zu. Diese Quote von 2,7 Prozent scheint nicht unlogisch, wenn man sich in die Position der ermittelnden Beamten versetzt. Was sollen sie dem Profiler abnehmen? Das Stottern? Das Alter? Oder gar nichts?
5.
    Die Profiling-Methode des FBI hat noch ein grundsätzlicheres Problem. Douglas und Ressler befragten keine repräsentative Auswahl von Serienmördern, um ihre Typologie zu erstellen. Sie sprachen mit Verbrechern, auf die sie zufällig stießen. In ihren Befragungen gingen sie nicht nach einem standardisierten Protokoll vor. Sie setzten sich zusammen und plauderten, was nicht gerade eine verlässliche Grundlage für ein psychologisches System ist. Die Frage drängt sich auf, ob sich Serienmörder tatsächlich danach unterscheiden lassen, ob sie organisiert vorgehen oder nicht.
    Kürzlich unterzog eine Gruppe von Psychologen an der University of Liverpool die Annahmen des FBI einer kritischen Untersuchung. Zunächst erstellten sie eine Liste möglicher Charakteristika, die nach Ansicht der FBI-Experten den Tatort eines organisierten Verbrechens ausmachten. Das Opfer war während der sexuellen Handlung am Leben, der Körper nahm eine bestimmte Stellung ein, die Tatwaffe fehlte, die Leiche war verschwunden, das Verbrechen beinhaltete Folter oder Fesselungen und so weiter. Dann erstellten sie eine entsprechende Liste für nicht organisierte Verbrechen: Das Opfer wurde geschlagen, die Leiche wurde zurückgelassen, die Besitzgegenstände des Opfers waren verstreut, die Mordwaffe war improvisiert und Ähnliches.
    Wenn das FBI Recht hatte, dann mussten am Tatort mehrere Punkte der einen oder anderen Liste zusammen auftreten, das heißt, wenn sich bei einem Verbrechen ein Hinweis auf ein organisiertes Verbrechen finden ließe, müssten mit großer Wahrscheinlichkeit auch weitere Hinweise zu finden sein. Bei einer Analyse von Hunderten Serienverbrechen stießen sie jedoch auf nichts, was die These des FBI bestätigte. Verbrechen lassen sich nicht in die eine oder andere Kategorie einteilen, sondern weisen fast immer eine willkürliche Kombination von Elementen vermeintlich organisierter und nicht organisierter Verbrechen auf. Laurence Alison, einer der Liverpooler Psychologen und Autor des Buchs The

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