Was der Hund sah
so die Logik, entspricht einem Persönlichkeitsprofil. Der organisierte Verbrecher ist intelligent, eloquent und fühlt sich anderen Menschen überlegen. Der nicht organisierte Verbrecher ist unattraktiv, verfügt über ein schwach ausgeprägtes Selbstbewusstsein und hat oft eine leichte Behinderung. Er ist zu seltsam und in sich vergraben, um verheiratet zu sein oder eine Freundin zu haben. Wenn er nicht allein lebt, dann wohnt er noch bei seinen Eltern. Unter seinem Bett stapeln sich die Pornos. Wenn er überhaupt ein Auto fährt, dann ein Wrack.
»Im Tatort spiegelt sich die Persönlichkeit des Verbrechers genauso wieder wie in der Wohnungseinrichtung die des Bewohners«, heißt es in einem Handbuch zur Verbrechensaufklärung, an dem Douglas und Ressler maßgeblich beteiligt waren. Je mehr Erfahrungen sie sammelten, desto präziser konnten sie die Entsprechungen formulieren. War das Opfer weiß, dann war auch der Täter weiß. War das Opfer alt, dann war der Täter sexuell unreif.
»In unseren Forschungen stellten wir fest, dass viele Serienmörder erfolglos versucht hatten, eine Anstellung bei der Polizei zu bekommen, und dass sie Arbeit in ähnlichen Bereichen, beispielsweise in privaten Sicherheitsdiensten oder als Nachtwächter gefunden hatten«, schreibt Douglas. Da organisierte Vergewaltiger auf Kontrolle aus sind, liegt es nahe, dass sie von gesellschaftlichen Einrichtungen besessen sind, die Kontrolle verkörpern. Diese Erkenntnis ermöglichte eine weitere Entsprechung: »In Profilen prognostizierten wir immer häufiger, dass das UNSUB« - das unbekannte Subjekt - »ein polizeiähnliches Auto fuhr, etwa einen Ford Crown Victoria oder einen Chevrolet Caprice«.
4.
Auf den ersten Blick scheint das System des FBI ungewöhnlich wirkungsvoll zu sein. Nehmen wir als Beispiel einen Fall, der in der Profiling-Literatur häufig diskutiert wird. Eine 26-jährige Sonderschullehrerin wird tot auf dem Dach ihres Mietshauses in der Bronx aufgefunden. Offenbar wurde sie entführt, als sie um 6:30 Uhr die Wohnung verließ, um zur Arbeit zu gehen. Sie wurde brutal zusammengeschlagen und mit ihren Strümpfen und ihrem Gürtel gefesselt. Der Täter verstümmelte ihre Sexualorgane, schnitt ihr die Brustwarzen ab, überzog ihren Körper mit Bissen, schrieb Obszönitäten auf ihren Unterleib, masturbierte, und defäkierte dann neben dem Körper.
Nehmen Sie an, Sie sind ein Profiler des FBI. Die erste Frage: die Hautfarbe. Das Opfer ist weiß, also ist auch der Täter weiß. Nehmen wir an, er ist Mitte zwanzig, Anfang dreißig, so wie die meisten der 36 Serienmörder, die Ressler und Douglas untersuchten. Handelt es sich um ein organisiertes oder ein nicht organisiertes Verbrechen? Ganz offensichtlich nicht organisiert. Die Tat findet am helllichten Tag auf einem Dach in der Bronx statt, es handelt sich also um eine hochgradig riskante Umgebung. Was macht der Täter um halb sieben in diesem Gebäude? Er könnte eine Art Lieferant sein, oder er könnte in der Nähe wohnen. So oder so scheint er mit den Örtlichkeiten vertraut zu sein. Er ist jedoch nicht organisiert, also labil. Wenn er eine Anstellung hat, dann bestenfalls als Hilfsarbeiter. Er ist vermutlich vorbestraft, wahrscheinlich wegen eines Gewalt- oder Sexualdelikts. Seine Beziehungen zu Frauen sind gestört, wenn er überhaupt welche hat. Die Verstümmelungen und die Defäkation sind derart seltsam, dass man auf eine psychische Störung oder Drogenmissbrauch schließen kann. Wie klingt das? Das entworfene Profil traf haargenau zu. Der Mörder war ein gewisser Carmine Calabro, dreißig Jahre alt, alleinstehend, arbeitslos, ein geistig verwirrter Schauspieler, der immer wieder in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht war und zu diesem Zeitpunkt bei seinem verwitweten Vater im vierten Stock des Gebäudes lebte, in dem der Mord verübt wurde.
Aber wie hilfreich ist dieses Profil tatsächlich? Die Polizei hatte Calabro ohnehin schon auf der Liste der Verdächtigen - wenn man einen Mörder sucht, der jemanden auf dem Dach getötet und verstümmelt hat, dann braucht man keinen Profiler, um den verwahrlosten psychisch Kranken aus dem vierten Stock zu verhören.
Deshalb haben die Profiler des FBI immer wieder versucht, ihre Profile durch aussagekräftige Details zu ergänzen, die der Polizei erlauben, den Täter rasch zu identifizieren. Anfang der achtziger Jahre hielt Douglas einen Vortrag vor Kriminalbeamten in Marin County über den Trailside Killer, der in den
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