Was der Hund sah
Kreis um ihn herum Platz nahmen.
»›Okay‹, sage ich zu den Detectives. ›Ich glaube, der Täter ist sechzehn oder siebzehn, Schüler ... Ein bisschen abgerissen, ungekämmt, insgesamt ungepflegt.«« Douglas fuhr fort: ein Einzelgänger, komischer Typ, keine Freundin, jede Menge aufgestauten Ärgers. Er kommt am Haus der alten Dame vorbei. Er weiß, dass sie allein ist. Vielleicht hat er früher mal ein paar Besorgungen für sie erledigt.
Ich mache eine Pause und sage ihnen, dass irgendwo da draußen jemand herumläuft, auf den diese Beschreibung zutrifft. Wenn sie den finden, haben sie den Täter.
Die Polizisten sehen einander an. Einer grinst. »Sind Sie Hellseher?« »Nein«, antworte ich. »Mein Job wäre einfacher, wenn ich es wäre.« »Wir hatten nämlich mal eine Hellseherin hier, Beverly Newton, die hat genau dasselbe gesagt wie Sie.«
Man sollte meinen, dass sich Douglas über diesen Vergleich ärgert. Er ist schließlich ein Agent des FBI und hat bei Teten gelernt, der wiederum bei Brussel in die Lehre gegangen ist. Er ist ein erstklassiger Profiler, er hat geholfen, das FBI als Einheit zur Verbrechensbekämpfung zu rehabilitieren, er hat die Vorlage zu zahllosen Filmen und Bestsellern abgegeben und hat die Instrumente der Psychologie auf die kriminelle Psyche angewandt. Und ein dahergelaufener Polizist nennt ihn Hellseher. Doch Douglas widerspricht nicht. Stattdessen denkt er laut über die unergründliche Herkunft seiner Erkenntnisse nach. An diesem Punkt stellt sich die Frage, was genau es mit dieser geheimnisvollen Kunst des Profiling auf sich hat und wie vertrauenswürdig sie ist.
Douglas schreibt:
Ich versuche, alle vorliegenden Beweise aufzunehmen und mich dann mental und emotional in den Täter zu versetzen. Ich versuche, so zu denken wie er. Wie das passiert, weiß ich nicht, genauso wenig wie Romanautoren wie Tom Harris, die mich über die Jahre besucht haben, erklären können, wie sie ihre Figuren zum Leben erwecken. Wenn es eine hellseherische Komponente gibt, dann macht mir das keine Angst.
3.
Ende der Siebziger interviewten John Douglas und sein FBI-Kollege Robert Ressler die berüchtigtsten Serienmörder des ganzen Landes. Sie begannen in Kalifornien, weil in diesem Bundesstaat laut Douglas »immer schon ungewöhnlich viele seltsame und spektakuläre Verbrechen verübt wurden«. An den Wochenenden und in ihrer freien Zeit statteten die beiden einem Gefängnis nach dem anderen einen Besuch ab, bis sie schließlich 36 Mörder befragt hatten.
Douglas und Ressler waren auf der Suche nach einem Muster, einer Verbindung zwischen dem Leben des Killers und seiner Persönlichkeit einerseits und dem Verbrechen andererseits. Sie suchten nach einer Homologie, wie Psychologen sagen, einer Entsprechung zwischen Charakter und Handlung, und als sie die Informationen, die sie von den Mördern erhielten, mit den verfügbaren Daten über die Verbrechen abglichen, kamen sie zu dem Schluss, dass sie einer solchen Übereinstimmung auf die Spur gekommen waren.
Demnach fällt jeder Serienmörder in eine von zwei möglichen Kategorien. Es gibt Tatorte, die auf Logik und Planung schließen lassen. Das Opfer wurde gezielt ausgewählt, um eine ganz bestimmte Fantasie zu befriedigen. Oft verstellt sich der Täter oder lockt das Opfer in eine Falle. Für seine Tat nimmt er sich Zeit, um seine Fantasien mit Genuss auszuleben. Er ist anpassungsfähig und mobil, lässt nur selten eine Tatwaffe zurück und versteckt die Leiche sorgfältig. In ihren Büchern bezeichnen Douglas und Ressler diese Art des Verbrechens als »organisiert«.
Bei »nicht organisierten« Verbrechen wird das Opfer dagegen nicht nach einem bestimmten Muster gesucht. Es wird willkürlich ausgewählt und blitzartig überfallen, ohne dass die Tat vorbereitet oder geplant war. Der Killer könnte sich beispielsweise ein Messer vom Küchentisch schnappen und die Waffe am Tatort zurücklassen. Das Verbrechen ist so schlecht ausgeführt, dass sich das Opfer oft wehren kann. Der Angriff findet oft in einer hochgradig riskanten Umgebung statt. »Der nicht organisierte Killer weiß nichts von der Persönlichkeit seiner Opfer, und er interessiert sich auch nicht für sie«, schreibt Ressler in Ich jagte Hannibal Lecter. »Er will nicht wissen, wer sie sind, und nicht selten unternimmt er den Versuch, ihre Persönlichkeit auszulöschen, indem er sie bewusstlos schlägt, ihr Gesicht bedeckt oder sie entstellt.«
Jeder dieser beiden Verbrechenstypen,
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