Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
Vom Netzwerk:
12. Straße im West Village und rauchte Pfeife. Zu Beginn seiner Karriere hatte er in Mexiko für die Spionageabwehr des FBI gearbeitet. Er hatte zahlreiche Bücher verfasst, darunter eine Anleitung für Hobby-Psychiater in zehn einfachen Schritten. Finney legte Brussel einen Stapel Dokumente auf den Tisch: Fotos von nicht explodierten Bomben, Bilder der Zerstörung und Fotokopien der Drohbriefe. »Mir entging der Blick der beiden Ermittler nicht«, schrieb Brussel in seinen Memoiren Das ungezähmte Böse. »Ich hatte diesen Blick schon früher gesehen, vor allem in der Armee und auf den Gesichtern von hartgesottenen, konservativen Offizieren, die sich sicher waren, dass dieser neumodische Psychiatriekram reiner Unsinn war.«
    Er besah sich die Unterlagen. Seit sechzehn Jahren war F. P. besessen von dem Gedanken, dass Edison ihm ein furchtbares Unrecht zugefügt hatte. Die Person war eindeutig klinisch paranoid. Doch Paranoia braucht Zeit, um sich zu entwickeln. F. P. hatte seine erste Bombe 1940 gelegt, das heißt, er musste inzwischen mittleren Alters sein. Brussel sah sich die Buchstaben der Drohbriefe an. F. P. war ein ordentlicher Mann und wahrscheinlich sehr vorsichtig. Seine Arbeit verrichtete er vermutlich tadellos. Seine Sprache ließ auf einen gewissen Bildungsgrad schließen. Doch die Wortwahl hatte etwas Gestelztes. Er bezeichnete Edison oft als »die Edison«. Und wer verwendete schon einen Ausdruck wie »feige Taten«? F. P. war vermutlich im Ausland geboren. Bei einem genaueren Blick auf die Form der Buchstaben stellte Brussel fest, dass es sich um perfekte Großbuchstaben handelte - nur die Ws fielen aus der Reihe. Sie waren schief und erinnerten an zwei Us. Wie zwei Brüste, meinte Brussel. Er nahm sich die Tatortbeschreibungen vor. Wenn F. P. seine Bomben in Kinos anbrachte, schlitzte er die Unterseite der Sitze auf und schob die Sprengsätze in das Polster. War das nicht wie die symbolische Penetration einer Frau? Oder die Kastration eines Mannes? Oder beides? F. P. war vermutlich nie über das ödipale Stadium hinausgekommen. Er war nicht verheiratet und ein Einzelgänger. Lebte bei einer Mutterfigur. Dann machte Brussel einen weiteren Gedankensprung. F. P. war slawischer Herkunft. So wie die Garrotte auf eine mediterrane Herkunft hätte schließen lassen, schien ihm die Kombination aus Bombe und Messer auf Osteuropa hinzudeuten. Einige der Briefe waren in Westchester County aufgegeben worden, aber F. P. hatte sie vermutlich nicht in seinem Heimatort eingeworfen. Doch einige der Städte im Südosten von Connecticut hatten große slawische Gemeinden. Und musste man nicht durch Westchester fahren, um von Connecticut nach New York zu kommen?
    Brussel machte eine dramatische Pause, dann traf er eine Vorhersage, die unter Profilern zur Legende wurde:
    »Noch eins.« Ich schloss die Augen, weil ich die Reaktion nicht sehen wollte. Ich sah den Bombenleger deutlich vor mir: tadellos gekleidet, absolut korrekt. Ein Mann, der neue Kleidungsstile so lange mied, bis sie längst konservativ geworden waren. Ich sah ihn bis in die kleinsten Einzelheiten vor mir - sehr viel genauer, als meine Kenntnisse es zuließen. Ich wusste, dass meine Fantasie mit mir durchging, aber ich konnte nichts dagegen tun.
    »Noch eins«, sagte ich und schloss die Augen.
    »Bei seiner Verhaftung - ich habe keinen Zweifel, dass ihr ihn verhaften werdet - wird er einen Zweireiher tragen.« »Mein Gott!«, flüsterte einer der beiden Ermittler.
    »Zugeknöpft«, sagte ich und öffnete die Augen. Finney und seine Männer sahen einander an.
    »Einen Zweireiher«, wiederholte der Inspector.
    »Ja.« »Zugeknöpft.«»Ja.«
    Er nickte. Sie gingen ohne ein weiteres Wort.
    Einen Monat später wurde George Metesky in Zusammenhang mit den Bombenanschlägen von New York City verhaftet. Sein ursprünglicher Nachname lautete Milauskas. Er lebte in Waterbury, Connecticut, bei zwei älteren Schwestern und war unverheiratet. Metesky war ein ordentlicher und korrekter Mensch und besuchte regelmäßig den Gottesdienst. Von 1929 bis 1931 hatte er bei Edison gearbeitet und behauptete, bei einem Arbeitsunfall verletzt worden zu sein. Als er den Polizeibeamten die Tür öffnete, sagte er: »Ich weiß, warum Sie hier sind. Sie halten mich für den Mad Bomber.« Es war nach Mitternacht, und er trug seinen Schlafanzug. Die Polizisten forderten ihn auf, sich anzuziehen. Als er zurückkam, hatte er sein Haar mit Pomade zurückgekämmt, seine Schuhe waren frisch

Weitere Kostenlose Bücher