Was der Hund sah
an der Universität von Hongkong durch, an der ausschließlich in englischer Sprache unterrichtet wird. Sie und ihre Kollegen sprachen Studierende der Sozialwissenschaften an, ermittelten ihre Englischkenntnisse und fragten sie, ob sie an einem kostenlosen Sprachkurs teilnehmen würden. Die Universität von Hongkong ist eine elitäre Einrichtung, und ohne ausgezeichnete Englischkenntnisse kommt man in den Sozialwissenschaften nicht weit. Interessanterweise zeigten nur diejenigen Studierenden Interesse an einem Sprachkurs, die Intelligenz für eine veränderbare Größe hielten, die sie selbst beeinflussen konnten. Studierende, die Intelligenz für eine feste Größe hielten, waren derart besorgt, sie könnten dumm aussehen, dass sie lieber zu Hause blieben. »Studierende, die ihre Intelligenz für unveränderbar halten, geben sich derart große Mühe, einen intelligenten Eindruck zu erwecken, dass sie dumm handeln«, schreibt Dweck. »Gibt es etwas Dümmeres, als eine Gelegenheit auszuschlagen, etwas zu lernen, das ausschlaggebend für ihren Erfolg ist?«
In einem ähnlichen Experiment gab Dweck einer Klasse von Grundschülern einen Test mit anspruchsvollen Aufgaben. Danach wurde unabhängig vom Ergebnis die eine Hälfte der Teilnehmer für ihren Einsatz gelobt, und die andere für ihre Intelligenz. Die Kinder, die für ihre Intelligenz gelobt worden waren, zeigten in der Folge wenig Interesse daran, schwierige Aufgaben zu lösen, und schnitten in weiteren Tests schlechter ab. Zum Abschluss bat Dweck die Kinder, Briefe an Kinder einer anderen Schule zu schreiben, in denen sie ihre Erfahrungen mit dem Test schildern sollten. Dabei machte sie eine erstaunliche Feststellung: 40 Prozent der Kinder, die für ihre Intelligenz gelobt worden waren, gaben falsche Testergebnisse an und korrigierten ihre Punktezahl nach oben. Diese Kinder waren keine geborenen Lügner, und sie waren nicht weniger intelligent oder selbstbewusst als andere. Sie verhielten sich nur genau so, wie sich eben Menschen in einem Umfeld verhalten, in dem sie nur für ihr vermeintlich angeborenes Talent gelobt werden. Sie definieren sich über diese Beschreibung, und wenn die Zeiten schwieriger werden und dieses Selbstbild in Gefahr gerät, dann können sie nur schwer mit den Konsequenzen umgehen. Sie leiten keinen Wandel ein. Sie stellen sich nicht vor die Investoren und die Öffentlichkeit und gestehen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Lieber lügen sie.
4.
Der entscheidende Fehler von McKinsey und seinen Musterschülern bei Enron war die Annahme, dass die Intelligenz einer Organisation von der Intelligenz ihrer Mitarbeiter abhängt. Sie glaubten an die Besten, weil sie nicht an das System glaubten. Das ist einerseits verständlich, denn wir erleben die Leistung von Einzelpersonen immer wieder als äußerst bereichernd. Gruppen schreiben keine genialen Romane, und es war kein Komitee, das die Relativitätstheorie formulierte. Doch Unternehmen funktionieren nach anderen Gesetzen. Sie schaffen nicht nur, sondern sie führen aus, konkurrieren und koordinieren die Arbeit vieler verschiedener Menschen. Diejenigen Unternehmen, die diese Aufgaben am besten bewältigen, sind diejenigen, bei denen das System der Star ist.
Dafür gibt es ein schönes Beispiel aus dem Zweiten Weltkrieg. Während der ersten neun Monate des Jahres 1942 erlebte die Marine der Vereinigten Staaten eine Katastrophe. Deutsche U-Boote, die direkt an der Atlantikküste und in der Karibik operierten, versenkten die Handelsschiffe fast nach Belieben. Die U-Boot-Kapitäne konnten ihr Glück kaum fassen. »Vor der hellen Wasseroberfläche zeichneten sich klar die Silhouetten der Schiffe ab, jedes Detail war erkennbar wie im Katalog«, sagte ein U-Boot-Kommandant. »Wir mussten nur den Knopf drücken.« Das war umso erstaunlicher, als die Briten auf der anderen Seite des Atlantiks weit weniger Probleme hatten, ihre Schiffe vor den U-Booten zu schützen. Sie gaben bereitwillig alles an die USA weiter, was sie über Sonarsysteme, Anti-U-Boot-Torpedos und den Bau von Zerstörern wussten. Trotzdem gelang es den Deutschen, die amerikanische Küste in Angst und Schrecken zu versetzen.
McKinsey wäre vermutlich zu dem Schluss gekommen, dass die Marine den Kampf um die Besten verschlafen hatte und dass Präsident Roosevelt die brillantesten Köpfe finden und an die entscheidenden Position der Atlantikflotte befördern musste. Doch das hatte er bereits getan. Zu Beginn des Krieges hatte er den
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