Was der Hund sah
überlebte. Wal-Mart ist schließlich ein Unternehmen, kein Star-Ensemble. Walton verpflichtete David Glass, der zuvor bei der Bekleidungskette Army und Navy und der Southern Missouri State University gewesen war, als CEO. Heute führt das Unternehmen die Fortune- 500-Liste an.
Auch Procter & Gamble verpflichtet keine Stars. Wie sollte es das auch? Welcher Harvard- oder Stanford-Absolvent würde schon nach Cincinnati ziehen, um Spülmittel zu verkaufen, wenn er oder sie bei Enron dreimal so viel verdienen und die Welt neu erfinden konnte? Procter & Gamble ist alles andere als glamourös. Der CEO hat sein Leben lang bei Procter & Gamble gearbeitet und im Markenmanagement von Joy Geschirrspülmittel angefangen. Wenn die Besten von Procter & Gamble gegen die Besten von Enron im Trivial Pursuit antreten würden, dann hätten sie vermutlich kaum eine Chance. Doch Procter & Gamble ist seit mehr als einem Jahrhundert Branchenführer, da das Unternehmen große Sorgfalt auf die Entwicklung eines Managementsystems und einer Marketingmethode verwendet hat, mit deren Hilfe es Jahrzehnt für Jahrzehnt den Kampf um seinen Markt gewonnen hat. In der Marine von Procter & Gamble wäre Admiral Stark geblieben. Und eine spartenübergreifende Arbeitsgruppe hätte die 10. Flotte schon lange vor dem Kriegseintritt ins Leben gerufen.
6.
Was sich am Ende mit am fatalsten für Enron erwies, war etwas, auf das die Manager besonders stolz waren. Es war der freie Stellenmarkt, wie McKinsey es nennen würde. In diesem System, das von McKinsey als Anschlag auf die starre Organisation konzipiert worden war, konnte sich jeder auf jede intern ausgeschrieben Stelle bewerben, und die Vorgesetzten hatten keine Möglichkeit, ihre Mitarbeiter zu halten. Das Wildern in anderen Abteilungen war ausdrücklich erlaubt. Als Enron-Manager Kevin Hannon die Breitbandsparte des Unternehmens gründete, startete er ein Projekt mit dem Namen Quick Hire. Er lud hundert Überflieger aus dem ganzen Unternehmen ein und hielt ihnen einen Vortrag. Vor dem Konferenzraum standen Tische, an denen die interessierten Manager weitere Informationen erhielten. »Nach einer Woche hatte Hannon seine fünfzig Spitzenmanager zusammen«, schreiben Michaels, Handfield-Jones und Axelrod, »und seine Kollegen hatten fünfzig Lücken, die sie schließen mussten.« Niemand, nicht einmal die McKinsey-Berater schienen sich Gedanken darüber zu machen, dass diese fünfzig Lücken den betroffenen Abteilungen schaden könnten, dass die Stabilität des bestehenden Geschäfts eine gute Sache sein könnte und dass die Selbstverwirklichung der Besten möglicherweise im Widerspruch zu den Interessen des Unternehmens stehen könnte.
Das sind jedoch genau die Fragen, die Unternehmensberater stellen sollten. Doch Enrons Unternehmensberatung war McKinsey, und McKinsey war genauso ein Gefangener des Talentmythos wie seine Klienten. Im Jahr 1998 stellte Enron 10 MBAs der elitären Wharton Business School ein; McKinsey 40. Im Jahr darauf fingen 12 Wharton- Absolventen bei Enron an, und bei McKinsey 61. Die McKinsey-Berater predigten bei Enron nur das, was sie von sich selbst dachten. »Wenn wir einen Auftrag an McKinsey vergeben haben, dann waren sie nicht nur eine Woche da«, erinnert sich ein früherer Enron-Manager an die brillanten jungen Männer und Frauen von McKinsey, die durch die Gänge der Unternehmenszentrale in Houston streiften. »Sie waren zwei bis vier Monate da. Sie waren immer da.« Sie suchten nach den Besten, nach Menschen, die den Rahmen sprengten. Dass vielleicht etwas mit dem Rahmen nicht in Ordnung sein könnte, wenn alle ihn sprengen sollten, auf diesen Gedanken kamen sie nicht.
22. Juli 2002
Neue Seilschaften
Was uns Vorstellungsgespräche wirklich verraten
1.
Nolan Myers wuchs als ältester von zwei Söhnen einer bürgerlichen Familie in Houston auf. Er ging auf eine musische High School und studierte dann in Harvard, wo er als Schwerpunkt ursprünglich Geschichte und Naturwissenschaften gewählt hatte. Dann entdeckte er das Programmieren und wechselte zu den Computerwissenschaften. »Programmieren ist etwas, in das man einfach reingezogen wird. Man kann nicht damit aufhören, bis man fertig ist«, sagt Myers. »Man fängt an, und wenn man auf die Uhr schaut, ist es plötzlich vier Uhr morgens. Und mir gefällt diese Eleganz.« Myers ist nicht besonders groß, ein wenig untersetzt, und hat hellblaue Augen. Er lächelt häufig und gestikuliert beim Sprechen mit den Händen. In
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