Was der Hund sah
lange nicht, dass Kunden nur gelben Senf essen. Grey Poupon ist es zu verdanken, dass es in amerikanischen Supermärkten heute eine eigene Senfabteilung gibt. Grey Poupon war auch der Grund, warum ein Mann namens Jim Wigon vor vier Jahren auf die Idee kam, ins Ketchupgeschäft einzusteigen. Ist der Ketchup heute nicht an genau demselben Punkt wie der Senf vor dreißig Jahren? Es gibt Heinz, und mit großem Abstand Hunt, Del Monte und ein paar kleinere Marken. Jim Wigon wollte den Grey Poupon des Ketchup erfinden.
Wigon stammt aus Boston. Er ist ein untersetzter Mittfünfziger mit graumeliertem Vollbart. Seine Ketchupfirma mit dem Namen World’s Best Ketchup ist im Cateringunternehmen seines Partners Nick Schiarizzi untergebracht, einem einstöckigen Gebäude im Industriepark von Norwood, Massachusetts, direkt hinter einer Verleihfirma für Industriemaschinen. Wigon beginnt mit roten Paprikaschoten, spanischen Zwiebeln, Knoblauch und einem hochwertigen Tomatenpüree. Basilikum wird von Hand gehackt, denn die maschinellen Häcksler würden die Blätter beschädigen. Statt Mais- verwendet er Ahornsirup, weshalb sein Ketchup nur ein Viertel des Zuckergehalts von Heinz Ketchup hat. Er füllt seinen Ketchup in eine 280 Gramm Glasflasche, verkauft ihn dreimal so teuer wie Heinz, und ist in den vergangenen Jahren kreuz und quer durch das ganze Land gereist, um in Feinkostläden und Supermärkten World’s Best Ketchup in sechs Geschmacksrichtungen anzupreisen: normal, süß, Dill, Knoblauch, Basilikum und mit karamellisierten Zwiebeln. Wer vor ein paar Monaten in den Feinkostladen Zabar’s an der Upper West Side von Manhattan kam, konnte ihn mit seinem Stand im Ausgangsbereich des Ladens zwischen Sushi und Gefilte Fisch antreffen. Er trug eine World’s Best Baseballmütze, ein weißes Hemd und eine Schürze mit roten Flecken. Vor sich auf einem kleinen Tisch hatte er eine silberne Terrine mit kleinen Hähnchen- und Fleischfrikadellen, eine Schachtel mit Zahnstochern und ein gutes Dutzend offener Ketchupflaschen aufgebaut. »Probieren Sie meinen Ketchup!«, rief er den vorbeigehenden Kunden wieder und wieder zu. »Wenn Sie ihn nicht probieren, sind Sie für den Rest Ihres Lebens dazu verdammt, Heinz zu essen!«
Im Ausgangsbereich von Zabar’s wurden an demselben Tag noch zwei weitere Produkte präsentiert. Die Kunden konnten zuerst kostenlose Geflügelwürstchen probieren, dann eine Scheibe Prosciutto kosten und schließlich vor dem Stand von World’s Best Halt machen, ehe sie zur Kasse gingen. Während sie die Sammlung offener Gläser betrachteten, spießte ihnen Wigon mit einem Zahnstocher eine Frikadelle auf, tauchte sie in einen seiner Ketchups, und reichte sie ihnen mit einer Verbeugung. World’s Best ist sehr viel dickflüssiger als Heinz, und der Ahornsirup verleiht ihm einen unverwechselbaren süßen Kick. Unweigerlich stutzten die Kunden und schlossen einen Moment lang die Augen. Einige blickten leicht verdutzt drein und gingen weiter, andere nickten und nahmen das Glas in die Hand. »Wissen Sie, warum er Ihnen schmeckt?«, fragte Wigon mit seinem breiten Bostoner Akzent die Kunden, die besonders beeindruckt schienen. »Weil Sie Ihr Leben lang nur schlechten Ketchup gegessen haben!« Jim Wigon hatte eine einfache Vision: Wenn er einen besseren Ketchup herstellte (so wie Grey Poupon einen besseren Senf hergestellt hatte), dann würde ihn die Welt mit offenen Armen empfangen. Wenn es nur so einfach wäre.
2.
Um die Geschichte von World’s Best Ketchup zu verstehen, müssen wir einen Mann namens Howard Moskowitz aus White Plains, New York, kennen lernen. Moskowitz ist sechzig Jahre alt, klein und dick, hat angegrautes Haar und trägt eine große Brille mit Goldgestell. Wenn er redet, bevorzugt er den sokratischen Monolog: Er stellt eine Frage, setzt ein langes »Ahhh« dahinter, nickt eifrig und beantwortet sie dann selbst. Er ist der direkte Nachfahr des legendären chassidischen Rabbiners, der als der Seher von Lublin bekannt wurde, und hat einen Papagei. Nach einem Studium in Harvard schrieb Moskowitz seine Doktorarbeit über Psychophysik, weshalb sämtliche Räume seines Lebensmitteltestlabors und Marktforschungsunternehmens nach berühmten Psychophysikern benannt sind. (»Haben Sie schon mal den Namen Rose Marie Pangborn gehört? Ahhh. Sie war Professorin an der Davis. Sehr berühmt. Das hier ist die Pangborn-Küche.«) Moskowitz ist ein außergewöhnlich mitreißender und begeisternder Mensch: Wenn Sie
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